Bedenken gegen die Volkszählung

■ Bevollmächtigter der IGM Reutlingen bekennt sich zum Boykott / SPD Rhein–Neckar lehnt Volkszählung ab / ASJ fordert zuständige Stellen und staatliche Organe auf, Boykotteure nicht zu kriminalisieren

Stuttgart (taz) - Gegen die Durchführung der Volkszählung sprach sich am vergangenen Freitag die große Mehrheit auf einer Vertreterversammlung der Reutlinger IG Metall aus. Ihr erster Bevollmächtigter, Wolf Jürgen Röder, bekannte sich zu einem Boykott der Volkszählung. Die Reutlinger Kreisverwaltung der IGM ist damit die erste gewerkschaftliche Gliederung im Südwesten, die sich der offiziellen Befürwortung der Volkszählung durch den Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Frankfurter IG Metall– Vorstand widersetzt. Die Unterstützung der Volkszählung durch den DGB war erst vor kurzem in einer Geschäftsführerversammlung der IG Metall scharf angegriffen, dann aber „murrend zur Kenntnis“ genommen worden. Ein Sprecher der Stuttgarter IG Metall erklärte zwar seine persönliche Bereitschaft zum Boykott der Volkszählung, ansonsten bleibe aber eine Entscheidung jedem IG Metaller selbst überlassen. diwi Heidelberg (taz) - Mit großer Mehrheit sprach sich am Wochenende der Kreisparteitag der SPD Rhein–Neckar in Wiesloch bei Heidelberg gegen die Volkszählung aus. Mehr als zwei Drittel der Delegierten aus insgesamt 75 SPD–Ortsvereinen nahmen einen von den Jusos eingebrachten Antrag an, in dem die Erhebung „aus grundsätzlichen Erwägungen, wie auch aufgrund des mangelnden Schutzes vor Mißbrauch der erhobenen Daten“ abgelehnt wird. Neben der „mangelden Akzeptanz in der Bevölkerung“ werden in der Entschließung als Gründe für die Ablehnung die hohen Kosten genannt, die auf die Kommunen abgewälzt werden sollen. Außerdem sei die Anony mität der gespeicherten Daten nicht gewährleistet. Die für politische Planungen notwendigen Daten könnten auch durch freiwillige, anonyme Befragungen oder durch Mikrozensus ermittelt werden. Einen Passus im ursprünglichen Antrag, in dem die Zustimmung der SPD–Bundestagsfraktion als „instinktlose Dummheit, die die Sorgen der Bevölkerung nicht ernst nimmt“ bezeichnet wird, zogen die Antragsteller vor der Abstimmung zurück.

rog Bremen (taz) - Der Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ) fordert alle zuständigen Stellen und staatlichen Organe auf, Boykotteure der Volkszählung nicht zu kriminalisieren. Wörtlich heißt es in einem am Wochenende einstimmig gefaßten Beschluß: „Die zuständigen Behörden werden aufgefordert, bei dem ihnen eingeräumten pflichtgemäßen Ermessen bei der Verfolgung dieser Ordnungswidrigkeiten die Sorgen der Betroffenen zu würdigen und im Regelfall von einer Verfolgung abzusehen.“ Der ASJ–Bundesvorsitzende Horst Isola war mit seinem Antrag, die Aussetzung der Volkszählung selber zu fordern, im Vorstand gescheitert. Zwar hält die ASJ die Volkszählung nicht für verfassungswidrig. Allerdings gebe es „deutliche Anhaltspunkte, daß die gesetzlichen Bestimmungen nicht eingehalten werden“, erklärte Isola. Vor allem in kleineren Gemeinden sei die gesetzlich geforderte Trennung von Verwaltung und Erhebungsstelle überhaupt nicht zu verwirklichen. Die Reidentifizierung der Daten sei zwar verboten, „man muß jedoch davon ausgehen, daß man gar nicht dahinter kommen wird, wenn reidentifiziert wird“, sagte der ASJ–Vorsitzende.