Brisante Trisomie–Studie entschärft

■ In der zweiten Fassung wird der Zusammenhang zwischen Tschernobyl und dem Auftreten von Mißbildungen abgeschwächt / „Irritationen“, aber keine wissenschaftlichen Beweise / Sperling erläutert Erhebung

Aus Berlin M. Kriener

Die Studie des Humangenetischen Instituts der Freien Universität Berlin über mögliche Zusammenhänge zwischen der erhöhten Strahlenbelastung durch Tschernobyl und einem gehäuften Auftreten der Chromosomenanomalie Trisomie 21 (umgangssprachlich: Mongolismus) sorgt weiter für Wirbel. Auf einer Pressekonferenz am Freitag mußte sich der Leiter des Instituts, Professor Karl Sperling, den Vorwurf der Hasenfüßigkeit gefallen lassen. Eine ganze Reihe von Journalisten kritisierten eine gestern vorgelegte zweite Fassung der Studie als ängstliches Zurückweichen und Abwiegelung. „Im Laufe dieser Woche sind Ihre Ergebnisse von Tag zu Tag immer unbedeutender geworden. Was ist passiert, damit Sie Ihre Aussagen derart abschwächen?“, wurde Sperling vorgehalten. Und: „Wo ist Ihre anfängliche mutige persönliche Betroffenheit geblieben?“ Sperling erläuterte zunächst nochmals die Ergebnisse der Studie, in der bundesweit 28.773 vorgeburtliche Fruchtwasser–Untersuchungen (Amniozentesen) ausgewertet wurden. Er zeigte sich von drei Indizien „irritiert“: - Ausgerechnet der August, der vierte Monat nach Tschernobyl, zeigt mit 1,7 Quote an Chromosomenanomalien insgesamt. Da die Amniozentese ebenfalls im vierten Schwan gerschaftsmonat durchgeführt wird, fällt der Befruchtungszeitraum für die August–Fälle rückgerechnet mit dem „Tschernobyl– Ereignis“ zusammen. - Auch eine nach Wochen aufgeschlüsselte Statistik zeigt, daß in 17 Fällen von Trisomie 21 die Befruchtung in die Zeit erhöhter Strahlenbelastung fällt. Der erste Tag der letzten Regel fiel bei diesen 17 Fällen in die zweite bzw. dritte Aprilwoche. - Nach der geographischen Verteilung dieser 17 Fälle kommen 13 aus dem höher belasteten süddeutschen Raum. Hier korrigierte Sperling die ursprünglich genannte Zahl von 15 Fällen. Sperling wehrte sich gegen den Vorwurf der Abwiegelung und unterstrich nochmals das Gesamtergebnis. Mit der Erhebung habe man versucht, jeglichen Zusammenhang zwischen erhöhter Strahlenbelastung und einer Häufigkeit von Trisomie 21 zu widerlegen. Dies sei nicht gelungen. Jetzt müßten weitere Untersuchungen im europäischen Raum initiiert werden. Die Studie biete zwar Anlaß zu Irritationen, sei aber „wissenschaftlich nicht beweiskräftig und signifikant“. Hoch signifikant ist dagegen die Angst des Professors vor seinen eigenen Ergebnissen. Wie berechtigt der Vorwurf der Entschärfung der ersten Fassung der Studie ist, zeigt der Vergleich. Gestrichen wurde in der zweiten Fassung der Satz: „Der August weist einen recht hohen Wert auf, sogar den höchsten aller Monate bezogen auf sämtliche Chromosomenanomalien. Die Konzeption (Befruchtung) dieser Fälle fiel in die Zeit der besonders hohen Strahlenbelastung.“ Stattdessen heißt es jetzt nur noch: „Für keinen der Untersuchungsmonate ergibt sich ein signifikanter Unterschied in der relativen Häufung der Trisomie 21 Fälle.“ Auch in der Bewertung der Wochen–Statistik wurde eine vorsichtig wertende Aussage, die einen Zusammenhang von Trisomie–Häufigkeit und Tschernobyl nahelegte, gestrichen. In der zweiten Fassung fehlt folgender Satz: „Diese Befunde deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Non– Distinction–Rate (Fehlverteilung von Chromosomen) und dem Anstieg der Strahlenbelastung hin.“ Den „Publizitätszwang“ durch den Druck der Öffentlichkeit nannte Sperling als Grund für die voreilige erste Fassung. Sperling kündigte an, daß für ihn das Thema noch nicht erledigt sei. Er wolle jetzt auf eine europäische Untersuchung drängen. Zumindest dänische und schwedische Daten könne man bekommen. Vorsichtig bewertete der Berliner Humangenetiker zwei Studien aus Indien (Kerala) und China (Vangjiang). Beide erkennen eine Zusammenhang zwischen erhöhter natürlicher Strahlenbelastung und einem Anstieg an Trisomie 21. Sperling: Nach diesen Studien „scheint eine Häufung aufzutreten“.