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Schlappe für Volkszähler

■ Gebäudeerhebung rechtlich zweifelhaft / Stuttgarter Verwaltungsgericht: Hausbesitzer verweigerten zu Recht / Klagen auch in anderen Bundesländern

R. Gramm/V. Gaserow

Heidelberg/Berlin (taz) - Die bereits vorab durchgeführte Gebäudezählung im Rahmen der Volkszählung verstößt möglicherweise gegen das Volkszählungsgesetz. In mehreren Bundesländern fechten deshalb zur Zeit Hausbesitzer mit Klagen vor den Verwaltungsgerichten die Rechtmäßigkeit dieser Gebäudeerhebung an. In einem ersten Verfahren hat jetzt das Stuttgarter Verwaltungsgericht einem klagenden Hausbesitzer recht gege ben. Das Gericht äußerte „erhebliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des Fragebogens zur Gebäudeerhebung. Bis zu einer etwaigen Hauptverhandlung braucht der Hausbesitzer den Bogen nicht auszufüllen. Die Richter gaben dem Antrag auf aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs statt. In der Begründung des Gerichtsbeschlusses wird ausgeführt, daß der Antragsteller „wohl zu Recht“ geltend mache, daß der ihm zugesandte Erhebungsbogen nicht im Einklang mit dem Volkszählungsgesetz stehe. Nach dessen Bestimmungen müßten die statistischen Landesämter bei den eingehenden Erhebungsbögen „unverzüglich“ die Hilfsmerkmale von den Erhebungsmerkmalen trennen. Der Gebäudebogen enthalte aber „keine Möglichkeit“, die im oberen Teil dieses Formulars aufgeführten Hilfsmerkmale (Vor– und Familienname des Eigentümers sowie dessen Anschrift) „in einfacher Weise von dem die Erhebungsmerkmale enthaltenden Teil“ zu separieren. Fortsetzung auf Seite 2 Aus dem Vortrag der betroffenen Gemeinde habe sich außerdem ergeben, daß „gar nicht beabsichtigt ist, die Hilfsmerkmale auf diesem Bogen zu irgendeinem Zeitpunkt von den Erhebungsmerkmalen zu trennen“. Der Aufforderung Folge zu leisten, trotz dieser erheblichen rechtlichen Bedenken die gewünschten Auskünfte zu erteilen, erscheint nach Ansicht des Gerichts dem Betroffenen als „kaum zumutbar“ (Az: 11 K 522/87). Nach Auffassung des Karlsruher Rechtsanwalts Eckart Riehle, der den Antragsteller in dem Verfahren vertreten hat, zeigt der Beschluß des Gerichts, daß „insbesondere der Gesetzesvollzug im Zusammenhang mit der Volkszählung permanent auf daten schutzrechtlich wackligen Beinen steht“. Mit diesem Gerichtsbeschluß könne nun jeder bei der Gebäudeerhebung Auskunftspflichtige in Baden–Württemberg, der den Bogen noch nicht ausgefüllt hat, mit guten Erfolgsaussichten Widerspruch einlegen. Wenn die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, so Riehle, können auch diejenigen, die den Bogen schon abgegeben haben, verlangen, daß ihre Daten vernichtet werden. Da in vielen Gemeinden den Anschreiben keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt wurde, beträgt in diesen Fällen die Widerspruchsfrist ein Jahr. Ein ähnlicher Prozeß wie in Stuttgart steht jetzt auch vor dem Verwaltungsgericht Köln an. Auch dort moniert eine Hausbesitzerin, daß die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Anonymisierung der Daten auf dem Gebäudebogen gar nicht möglich ist. Eine gerichtliche Auseinandersetzung um die Gebäudeerhebung wird es auch in Hamburg geben. Dort verlangen Hausbesitzer, die ihren Bogen schon ausgefüllt abgeschickt haben, ihren Bogen wieder zurück. Erst im Nachhinein, so die Kläger, hätten sie festgestellt, daß die Gebäudeerhebung gegen das Volkszählungsgesetz verstößt. Rückendeckung bekommen die prozessierenden Hausbesitzer dabei vom Hamburger Datenschutzbeauftragten. „Auch ich habe Zweifel, ob die bei der Gebäudeerhebung benutzten Fragebögen mit den Trennungs– und Löschungsvorschriften des Volkszählungsgesetzes übereinstimmen“, bestätigte der zuständige Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten die Bedenken. Da sich das Statistische Landesamt trotz mehrmaliger Fristsetzung bisher geweigert hat, die ausgefüllten Bögen wieder herauszurücken, haben die Kläger zusätzlich zu ihrem Gang zum Hamburger Verwaltungsgericht Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Verantwortlichen im Statistischen Landesamt gestellt.

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