: Der Mißerfolg ist vorprogrammiert
■ Trotz anderslautender Erklärungen tut der Westen alles, um ein Abkommen in Moskau zu verhindern
Kaum jemals zuvor ist eine Reise eines amerikanischen Außenministers von einem publizistischen Trommelfeuer begleitet worden wie das zur Zeit stattfindende Treffen zwischen Shultz und seinem Amtskollegen Schewardnadse. Je mehr eine Vereinbarung in greifbare Nähe rückte, um so massiver wurden die Einwände innerhalb der NATO. Letztlich stellte sich heraus: Die Mehrheit innerhalb der NATO will, wenn es tatsächlich darauf ankommt, auf die US–Atomraketen in Europa nicht verzichten.
Gutes Wetter, aber eine kühle Atmosphäre waren das einzige, das die Korrespondenten der westlichen Nachrichtenagenturen melden konnten, als US–Außenminister Shultz mit der größten Delegation in der Geschichte der US–Diplomatie am Montag vormittag in Moskau landete. Selbst der obligatorische Händedruck mit dem sowjetischen Amtskollegen Schewardnadse sei erst auf Aufforderung der Fotographen erfolgt - ein Umstand, der den Gipfelastrologen erst einmal Nahrung gibt, über die Bedeutung persönlicher Beziehungen der Mächtigen untereinander zu spekulieren. Doch auch ein herzlicher Bruderkuß hätte kaum darüber hinwegtäuschen können, daß sich vor allem im Westen ein breites Bündnis formiert hatte, das entschlossen dafür gearbeitet hat, diesen „außergewöhnlich wichtigen Besuch“ (Bundesverteidigungsminister Wörner) nicht zu einem Erfolg werden zu lassen. So hat US– Präsident Reagan seinen Außenminister im Gegensatz zu den Erwartungen der Sowjets darauf festgelegt, das Schwergewicht der Gespräche statt auf die Mittelstreckenraketen auf eine Vereinbarung über die Interkontinentalraketen zu legen. Da Reagan gleichzeitig auf eine zügige Stationierung von SDI besteht, ist das Scheitern bereits vor programmiert. Sollte es doch zu ernsthaften Gesprächen über eine Null–Lösung im Bereich der weitreichenden Mittelstreckenraketen kommen, hat die NATO bereits durch ein Junktim zwischen Mittel– und Kurzstreckenraketen die ursprünglich in Reykjavik vereinbarte Null–Lösung zu Fall gebracht. Front gegen Null–Lösung Das Angebot Gorbatschows am Freitag in Prag, Verhandlungen über Kurzstreckenraketen parallel zu den Mittelstreckenraketen zu führen, ist den Falken innerhalb der NATO nicht ausreichend. Rechtzeitig zu Shultz Eintreffen in Moskau erklärte der einflußreiche Vorsitzende des Verteidgungsausschusses des US–Senats, Sam Nunn, Shultz müsse eine klare Verbindung zwischen Kurz– und Mittelstreckenraketen voraussetzen, wenn ein eventueller Vertrag im Senat ratifiziert werden solle. Massiver noch als die US–Abrüstungsgegner machen jedoch ihre europäischen Freunde Front gegen eine Null–Lösung. Trotz öffentlicher Festlegung des Kanzlers macht die Stahlhelm– Fraktion innerhalb der Union auch weiterhin in aller Öffentlichkeit deutlich, daß sie auf amerikanische Atomwaffen nicht verzichten will. Am höchsten legte die Latte trotz Kabinettsdisziplin der oberste Feldwebel der Nation, Manfred Wörner, der forderte, „Gorbatschow muß bereit sein, von seiner Invasionsfähigkeit herunterzugehen und das konventionelle Übergewicht bis auf eine Parität herunterzuschrauben. Dann erst ist seine (Gorbatschows) Beteuerung, niemand bedrohen zu wollen, glaubwürdig.“ Da Wörner weiß, daß eine solche Einigung in absehbarer Zeit nicht erreichbar ist, betreibt er zusammen mit dem Pentagon die Pershing–Bestandssicherung. Laut Spiegel will er in dieser Woche ein geheimes Planungspapier abzeichnen, in dem der Austausch der veralteten Pershing Ia gegen eine reduzierte Version der Pershing II vorgeschlagen wird. Angesichts dieser Planung ist kaum zu erwarten, daß Shultz in den drei mit Schewardnadse vorgesehenen Gesprächsrunden zu einer Einigung kommt. Ob das persönliche Schreiben Präsident Reagans, welches Shultz heute Gorbatschow überreichen soll, Perspektiven darüber hinaus enthält, ist kaum anzunehmen. Es sei denn, Reagans Eitelkeit siegt über seine politische Unvernunft. Nach Meinung des republikanischen Mehrheitsführers, Robert Dole, ist der Shultz–Besuch die letzte Chance, in Reagans Amtszeit noch zu einem Abkommen mit den Sowjets zu kommen. Jürgen Gottschlich
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