Wendepolitik in der Alpenrepublik

■ Die österreichische Wirtschaftspolitik bastelt an einer neuen Idealfigur: Aus den konservativen Beamten sollen risikofreudige Investoren werden / In der Großen Koalition ist Privatisierung für SPÖ kein Reizwort mehr / Am EG–Beitritt wird vor und hinter den Kulissen gedreht

Aus Wien Michael Schmid

„Schaun Sie, bei uns gehn die Uhren halt ein bißerl anders“, erklärte weiland Bruno Kreisky das politische Leben in Österreich. In der Tat, sie gehen anders - nach, vor allem. Als Helmut Kohl in Deutschland bereits zufrieden auf vier Wendejahre zurückblickte und hoffnungsfroh „Weiter so, Deutschland“ plakatieren ließ, machte sich in Österreich sein Kollege Alois Mock 1986 gerade erst auf, seine werte Person den Österreichern als „logischer Nachfolger“ des Sozialistischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky zu empfehlen und ihnen die Notwendigkeit der Wende zu erklären. Indes, die Österreicher waren nicht so recht überzeugt, Vranitzky blieb Bundeskanzler und Alois Mock wurde nur der Nachfolger Peter Jankowitschs als Außenminister - so gehts halt dem Juniorpartner in einer großen Koalition. Die Wende kommt dennoch. Moralisch und wirtschaftlich. Fürs Moralische sorgt Johannes Paul II in Rom, der den Österreichern einen neuen Bischof nach dem anderen präsentiert, sowie die Erhebung der Familie in den Verfassungsrang. Fürs wirtschaftliche ist die neue Koalitionsregierung von ÖVP und SPÖ gemeinsam mit ihren jeweiligen ökonomischen Vordenkern kollektiv zuständig. Budgetkonsolidierung, Privatisierung, Deregulierung, EG– Annäherung und Verstaatlichtensanierung sind die wichtigsten Leitmotive der neuen österreichischen Wirtschaftspolitik. Der Anteil des Nettodefizits am Bruttoinlandsprodukt soll kontinuierlich gesenkt werden, jährlich um 0,5 Prozent, das sind acht Milliarden Schilling 1988. Den simplen Weg der Defizitverringerung durch Steuererhöhung hat sich die Regierung selbst verboten. Das Koalitionsabkommen schließt Steuererhöhungen aus, im Gegenteil, es soll mit 1. Jänner 1989 sogar eine Steuersenkung um 6 Prozent möglich sein, und die Luxusmehrwertsteuer von 32 Prozent ist bereits am 1. April dieses Jahres, außer für Autos und Motorboote, gefallen. Bei den Steuern ist da noch einiges drin. So sollen etwa 30 Milliarden Schilling bloß durch das Streichen diverser Steuerbegünstigungen gespart werden. Gestrichen wird auch bei Sozialleistungen; Studenten werden wohl alsbald nicht mehr von der Telefongrundgebühr befreit sein, und wer seine Anverwandten zu bestatten hat, muß dies fürderhin ohne staatliche Unterstützung tun. Die 6.000 Schilling Bestattungskostenbeitrag wird es nicht mehr geben. Doch mit bloßen Budgeteinsparungen ist es nicht getan. Grundlegendes soll sich ändern an Öster reichs Wirtschaftspolitik. Von Privatisierung ist die Rede, von Deregulierung. Aus den traditionsverhafteten Österreichern, deren Lebensziel der Status des pragmatisierten unkündbaren Beamten ist, soll ein Volk von Eigentümern werden, risikofreudig, leistungsbewußt, quick, smart und erfolgreich. Statt dem Sparbuch der Großväter sollen die Alpenbürger in Hinkunft Aktien und Genußscheinen vertrauen, ein Volk von Investoren wünschen sich die neuen Wirtschaftslenker des Landes. Die steuerliche Begünstigung von Aktien und Genußscheinen durch den Ex–Bankier Vranitzky deutet jedenfalls in diese Richtung. Das Gesellschaftsrecht soll geändert werden, sodaß ähnlich wie in der Schweiz auch kleinere Unternehmen bereits als stolze Aktiengesellschaften an die Börse gehen können. Privatisierung, ansonsten für Sozialisten ein Reizwort, ist für die neue smarte SPÖ kein Thema. Sie ist sich laut Vranitzky über die Privatisierung mit der ÖVP grundsätzlich einig, um Details wird noch gefeilscht. Das Familiensilber wird bereits poliert, der Ausverkauf kann beginnen. Die Familienväter sehen das etwas anders. Wirtschaftsminister Robert Graf beteuert, „kein wütender Sanierer“ zu sein, und er bekräftigt, daß sein „Freund Mock nicht bei Frau Thatcher in die Schule gegangen“ sei. Für ihn ist Privatisierung „ein Vehikel zur Sanierung“. Tatsache ist, daß wie im Falle des Reifenproduzenten Semperit, marode Staatsunternehmen mit Steuergeldern wieder flott gemacht und dann meistbietend an Private verkauft werden - im Falle Semperit an die deutsche Continental. Für Graf „die einzige Möglichkeit, da sonst alle Subventionen kaputt gewesen wären, und das Werk würde stehen“. Allerdings hofft man fürderhin, die sanierten Betriebe im Inland verhökern zu können oder an Aktionär und Aktionärin zu bringen. Und mit Sicherheit wird nicht auf Teufel komm raus verkauft. Minister Graf kann sich vorstellen, daß auch nur „Liegenschaften angeboten werden, die die Menschen wahrscheinlich kaufen würden“. Diesen Weg wollte der mehrheitlich verstaatlichte Steyr–Daimler– Puch–Konzern gehen, um einen Teil der Verluste der vergangenen Jahre auszugleichen. Steyr bot die Konzernzentrale an der Wiener Ringstraße zum Verkauf an. Doch ehe es zur Veräußerung kam, versuchten Unbekannte den „warmen Abriß“. Die Brandruine ist bis auf weiteres ein Fall für die Versicherungen. Beim Verkauf der Puch Zweiradproduktion war man erfolgreicher. Die Marke Puch sicherte sich der Vespa–Produzent Piaggio. Arbeitsplätze sichert das aber in Österreich keine mehr. Die Fertigung wandert nach Italien. Mehr Markt soll es auch in anderen Bereichen geben; das staatliche Rundfunkmonopol wird fallen, wann und wie ist allerdings noch höchst unklar. Und auch die Landwirtschaft will man „schrittweise dem internationalen Wettbewerb zuführen“. Wie dies bewerkstelligt werden soll, fragt man sich, denn schließlich gibt es hier nicht mal mehr einen nationalen Wettbewerb. Die monopolistische Struktur des marktbeherrschenden Raiffeisenverbandes wird wohl auch in Zukunft dafür sorgen, daß die Österreicher mit die höchsten Milchpreise in Europa zahlen. Und ob es gelingt, durch finanzielle Förderung von Alternativprodukten und Ökologieflächen die Milchseen, Butter– und Weizenberge abzubauen, bleibt abzuwarten. Hand in Hand mit mehr Markt geht die Liberalisierung der Ladenschlußzeiten. Die Österreicher, die bisher nur vor Weihnachten samstäglichen Konsumräuschen erliegen durften, und meist nach sechs am Abend kein Joghurt mehr kaufen konnten, werden vielleicht schon bald in den Genuß kommen, auch samstags und nach sieben den Schilling rollen zu lassen. Schließlich schielt man ja auch schon verstohlen Richtung EG; wenn es auch offiziell heißt „Vollmitgliedschaft nein - aber größtmögliche Annäherung“, so wird doch schon eifrig untersucht und getüftelt, ob und wie es vielleicht möglich wäre, der Segnungen des gemeinsamen Marktes teilhaftig zu werden. Neutralität hin oder her, Peinlichkeiten wie der Visumzwang für Frankreich oder bayrische AIDS–Tests blieben den Österreichern so jedenfalls erspart. Die junge ÖVP Tirol fordert indessen schon ganz offen den baldigen EG–Beitritt. Die Regierung hat momentan allerdings andere Nöte: Für die „wirklich allerletzte“ Sanierung der verstaatlichten Industrie müssen voraussichtlich rund 42 Milliarden Schilling aufgetrieben werden. Etwa 6.000 Schilling pro Alpenbürger.