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Wahl im Land der Reben und Raketen

■ Am 17.Mai schreiten die Rheinland–Pfälzer zur Landtagswahl / SPD–Spitzenkandidat Scharping ist redlich bemüht, sich den Wählern bekannt zu machen / Ministerpräsident Vogel auf Fußballfeld und Tanzboden

Aus Mainz Felix Kurz

Bis zum 5. April hatten Hessen und Rheinland–Pfalz eines gemeinsam: Seit ihrem Bestehen wurden sie jeweils von ein und derselben Partei regiert, die SPD in Hessen, die CDU im Nachbarland. Die Wende in Hessen hat bei der gebeutelten rheinland–pfälzischen SPD nur kurze Zeit für schlechte Stimmung gesorgt. Im Land der Reben und Raketen wollen die Sozialdemokraten nach über 40 Jahren CDU–Regierung diese endlich „aus den Angeln heben“. Der Termin: 17. Mai. So findet sich bei ihnen inzwischen eine Trotz–und Jetzt–erst–recht– Stimmung, die sich zwar kaum jemand erklären kann, aber von Spitzenkandidat Rudolf Scharping unentwegt verbreitet wird. Die SPD–Rechnung: Bleibt die FDP erneut unter fünf Prozent und sackt die CDU auf rund 47 Prozentpunkte oder darunter ab, dann könnte es klappen. Scharping ist gestandener Berufspolitiker. Vom Assistenten Wilhelm Dröschers, dem früheren SPD–Chef in Rheinland– Pfalz, hat sich der 43jährige längst auf den Partei– und Fraktionsvorsitz im Mainzer Parlament hochgearbeitet. Während Dröscher 1971 seine 6.000 Kilometer pro Wahlkampfmonat noch selbst fahren mußte, kann Scharping auf einen Fahrer zurückgreifen. Den braucht er auch. Denn niemand außer dem Sozi–Chef hat ein dermaßen dichtes Veranstaltungsprogramm mit „einigen hundert Veranstaltungen“. Als er bereits im Frühjahr 1985 zum Herausforderer von Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) gekürt wurde, war sein größtes Problem: Wer kennt mich eigentlich? Ganzen 43 Prozent der Rheinland–Pfälzer war der Spitzengenosse bekannt. Guter Rat und viel Public Relation waren angesagt. In die Enkelgeneration des Partei–Patriarchen Willy Brandt stieg Scharping nie auf, und über die Landesgrenzen hinaus können mit seinem Namen nur die wenigsten etwas verbinden. Der Mann ist kein roter Bürgerschreck, sondern läßt sich für die Wahlkampfzeitung in Strickjacke mit Frau und seinen drei Töchtern fotografieren. Und auf dem Schoß des Spitzenkandidaten posiert gar ein Karnickel. Riesige Plakatwerbung, Postwurfsendungen und Hunderte von Veranstaltungen haben das Bekanntheitsdefizit inzwischen schon etwas gelindert. Rudolf Scharping läßt kaum ein publikumswirksames Wandern aus, besuchte schon alle Landkreise und kreisfreien Städte, und natürlich beteiligte er sich Ostern auch an einem Ostereierlaufen in einer CDU–Hochburg der Eifel. Mittlerweile können schon rund 70 Bundesland den Namen Scharping einordnen. Vor ihm, so sagt SPD–Pressesprecher Herbert Bermeitinger, rangiere auf der Bekanntheitsskala nur noch der Ministerpräsident. Seit der Hessen–Wahl hat Scharping auch einen neuen Gegner: die Grünen. Doch die kämpfen derzeit mehr mit sich selbst als mit den anderen Parteien. Jeder der drei Vorstandssprecher macht nach seiner Überzeugung und eigenem Gusto Wahlkampf. Von der Grünen–Geschäftsstelle fühlt man sich schlecht informiert. Zu den Landesparteitagen der anderen Parteien hörte man von den Grünen keinen Mucks. Trotzdem wundern sich ihre Funktionäre, daß sie relativ selten in den Medien erscheinen. Vor allem nach Hessen, so befürchten einige, könnte es noch einmal knapp mit dem Einzug in das Landesparlament werden. Die Basis der CDU im Lande sonnt sich unterdessen nach dem Wallmann–Ergebnis in Hessen im Erfolg. Vor allem den christdemokratischen Wahlkampfstrate gen und dem Ministerpräsidenten bereitet diese Haltung „ernste Sorgen“. Mit dem designierten Bundesumweltminister Klaus Töpfer verliert Vogel zudem seinen „besten Mann“. Für ihn hatte er sogar einen Wahlkreis freigemacht. Töpfer, bislang ohne Mandat im rheinland–pfälzischen Landtag, beerbte Walter Mallmann, nicht zu verwechseln mit dem neuen Hessen–Premier. Walter Mallmann, Ex–CDU–Landtagsabgeordneter, köderte der Ministerpräsident mit dem gutdotierten Zehn–Jahresjob des Bürgerbeauftragten, einer rheinland– pfälzischen Spezialität. Töpfer erhielt dafür den Mallmann–Wahlkreis Rhein–Hunsrück, in dem auch die Cruise Missiles stationiert werden. Vogel entwickelt derweil ebenfalls einen ungeahnten Reisetrieb. So flog er zum Pfalzderby zwischen dem Fußball–Bundesligisten SV Waldhof und FC Kaiserslautern nach Ludwigshafen ein. Der Landesvater kreuzt aber nicht nur bei Fußballspielen auf. Selbst eine Ludwigshafener Disco ließ er nicht ungeschoren. Auf Einladung der JU in der Diskothek „Boa“ und im „Cafe– Edd“, ohne Krawatte und Jackett, versuchte sich der 54jährige Junggeselle als „lockerer Typ“. Doch niemand wollte ein Autogramm oder gar ein Bierchen mit dem Landesvater trinken. Und es dauerte seine Zeit, bis eine JU–Frau ein Tänzchen mit ihm wagte.

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