Atom–Schrottberg im THTR wächst und wächst

■ NRW–Wirtschaftsminister genehmigt letzte Stufe der Leistungsversuche / Mehr als 6.000fach erhöhter Bruch der Brennelement–Kugeln Reaktor nach sieben Wochen Zwangspause wieder am Netz / Atomrechtliche Genehmigung für Dauerbetrieb nicht vor 1990

Aus Bochum Petra Bornhöft

Nach siebenwöchigem Stillstand ist der Thorium–Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm seit Ostern wieder am Netz. Mit der Freigabe stimmte NRW–Wirtschaftsminister Jochimsen (SPD) gleichzeitig der dritten und letzten Phase des Leistungsversuchsbetriebes zu, in deren Verlauf der Pannenreaktor auf 100 Prozent Leistung (300 MW) gebracht werden soll. Wegen derber Konstruktionsmängel und verschärfter Pro bleme infolge der unerwartet hohen Dichte der kugelförmigen Brennelemente ist dies nur kurzfristig möglich. So wird sich die offizielle Übergabe eines funktionstüchtigen AKW an die künftigen Betreiber nach Angaben der VEW erneut um Monate verzögern. Der formelle Abschluß der Bauarbeiten hinkt bereits jetzt elf Jahre hinter einst gesetzten Terminen her. Konkreter Anlaß für die zweite Zwangspause in diesem Jahr waren Werkstoffmängel an hoch warmfestem Stahl in Leitungen des Sekundärkreislaufes. Die Aufsichtsbehörde hatte bei dem gleichen Stahl im Schnellen Brüter „zu hohe Härten“ festgestellt und befürchtete, daß Schweißnähte spröde werden könnten. Daher seien im THTR, so Betreiber und Ministerium, „vorsorglich Schweißnahtstücke an Kleinleitungen ausgewechselt“ worden. Unbestätigten Meldungen zufolge sollen die Arbeiten in großer Hektik und für satte 19 Millionen DM ausgeführt worden sein. Den Stillstand des THTR nutzte die Betriebsmannschaft auch zum erneuten Austausch der sogenannten Schrottkannen. Das sind zwei Sammelbehälter für beschädigte, nicht mehr verwertbare Brennelemente aus dem Kugelhaufen im Reaktorkern, der aus rund 700.000 tennisballgroßen Kugeln besteht. Nach ursprünglichen Berechnungen sollten sich die beiden Kannen für je 2.000 Kugeln frühestens nach dreißigjähriger Betriebsdauer des THTR mit dem Atomschrott füllen. Ihr Ausbau war überhaupt nicht vorgesehen. Reaktor–Erbauer hatten nämlich noch 1982 kühn geschätzt, daß in zwei Jahren „nur ein Brennelement von den Kernstäben zerdrückt wird“. Doch erstens liegen die Kugeln viel dichter als berechnet. Die erforderliche Umwälzung der Reaktorkugeln kann nur bei einer Abschaltung erfolgen. Dazu müssen die Kernstäbe eingefahren werden, die den Haufen weiter zusammenschieben. Zweitens konnten sich die Betreiber, wie sie jetzt einräumten, bei den häufigen Schnellabschaltungen wegen diverser Defekte nicht auf das Schnellabschaltsystem verlassen, sondern mußten zusätzlich die Kernstäbe in den Kugelhaufen drücken. Folge dieser Fehleinschätzung und Mängel, auf die Kritiker seit Jahren hinweisen: Der Atomschrottberg im THTR wächst rapide. In nicht einmal eineinhalb Jahren Probebetrieb sind tausende der Kugeln zu Bruch gegangen. War vor knapp einem Jahr noch die Rede von 800 beschädigten Brennelementen, so erklärte jetzt die VEW auf Fragen der taz, daß beide Schrottkannen zweimal erneuert wurden. Selbst für den Fall, daß sie nur zu Dreiviertel voll waren, summiert sich der Müll auf 6.000 lädierte Kugeln. Diese enorme Steigerung des Kugelbruchs binnen weniger Monate wird von Behörde und Betreibern systematisch verharmlost. Es sei „ein rein betriebswirtschaftliches Problem“, so das Ministerium, da mehr Kugeln gekauft werden müssen - zum Vorteil der Hanauer Atomfabrik. Solange hohe „Grenzwerte“ nicht überschritten werden, sieht man in Düsseldorf keinen Anlaß, sich mit der Ansicht von THTR–Kritikern auseinanderzusetzen. Nach deren Meinung wird durch metallischen Abrieb und radioaktiv verseuchten Graphit– und Brennstoffstaub der ramponierten Kugeln der Resthaufen weiter verdichtet, somit der Kugelbruch verstärkt, die Aktivität im Kühlgas erhöht und langsam, aber sicher die gesamte Anlage versifft. Nach Meinung der VEW–Enthusiasten hängt das Problem a Doch technisch ist dieser Normalbetrieb bei 100 Prozent Leistung nicht in Sicht. Allein wegen des erforderlichen Umwälzens der Kugeln muß der Atommeiler spätestens nach 20 Tagen heruntergeschaltet werden, hieß es kleinlaut von seiten des Kraftwerksdirektors. Ende des Jahres soll diese Betriebseinschränkung behoben werden. Aus „konkurrenzbedingten Geheimhaltungspflichten“ wollte die VEW der taz die Lösung des Problems beim weltweit einzigen Prototyp–Reaktor nicht verraten. Unterdessen teilte die Aufsichtsbehörde mit, daß über eine Genehmigung für den Dauerversuchsbetrieb nicht vor 1990 entschieden werde. Rechtliche Voraussetzung dafür ist unter anderem der Nachweis eines externen Zwischenlagers für den THTR– Atomschrott. Doch die vorgesehene Halle im münsterländischen Ahaus wird wegen diverser Gerichtsverfahren vermutlich weit länger eine Bauruine bleiben.