Geheimpapier zur Volkszählung

■ Niedersächsischer Verfassungsschutz sieht schwarz für die Volkszählung / Widerstand gegen Volkszählung von „politischen Extremisten“ gesteuert / V–Amts–Chef Frisch will Berichterstattung der Medien beeinflussen

Aus Hannover Jürgen Voges

Die Humanistische Union (HU) hat gestern in Hannover ein Geheimpapier des niedersächsischen Verfassungschutzes über den Widerstand gegen die Volkszählung veröffentlicht, den der niedersächsische Ex–V–Amts– Chef und jetzige zweite Mann beim V–Amt des Bundes Frisch Ende Januar persönlich verfaßt hat. Der Verfassungschützer, für den „der Widerstand“ gegen die Volkszählung „im wesentlichen von politischen Extremisten initiiert wird, kommt darin zu dem Schluß, daß „die Weigerungsmöglichkeiten relativ vielfältig und risikolos sind“. Nach Meinung von Frisch spricht viel dafür, daß der „weiche Boykott“ der Volkszählung die meisten Befürworter finden werde. Diese Möglichkeiten der Verweigerung seien fast unbegrenzt und kaum zu identifizieren. Der Verfassungschützer zählt dazu „falsche oder unvollständige Angaben auf dem Fragebogen, zu spätes Zurückschicken des Bogens an einen falschen Adressaten..., das Knicken und Verschmutzen der Fragebögen und die Trennung von Mantel– und Personenbogen“. Den Schwerpunkt der Gegenaktion sieht der Verfassungsschützer in den „Groß– und Universitätsstädten“. Auch eine forcierte Öffentlichkeitsarbeit könne dieses Protestpotential nicht entscheidend vermindern. Um ein Übergreifen der Boykottbewegung auf die Mehrheit der Bevölkerung zu verhindern, empfiehlt er, Einfluß auf die Berichterstattung der Medien zu nehmen. Sollten eine Vielzahl kritischer Berichte erscheinen, müsse eine Demotivation der Zäh ler und eine mangelnde Mitarbeit in der Bevölkerung einkalkuliert werden. „Griffige, leicht verständliche Darstellungen zur Notwendigkeit der Volkszählung fehlen“, kritisiert Frisch die bisherige Informationspolitik und empfiehlt: „Fernsehspots, Anzeigenwerbung, ruhig auch in Comic– Form, Hauswurfsendungen u.ä. könnten hier wirkungsvolle Maßnahmen sein, um eine wirkungsvolle Solidarisierung breiter Bevölkerungsschichten mit z.T. maßlosen Gegenargumenten der Extremisten zu vermeiden“. Nach Ansicht des Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union, Professor Jürgen Seifert, hat diese Empfehlung des Verfassungschutzes bereits Wirkung gezeigt. Allein zwei Rundfunkbeiträge von Mitgliedern der HU über die Volkszählung seien in letzter Zeit kurzfristig abgesagt worden. Für Seifert überschreitet der Verfassungsschutz mit diesem Versuch der Einflußnahme auf die Berichterstattung „die Grenzlinie, die einen Geheimdienst in einem demokratischen Rechtsstaat von einem Geheimdienst in einem totalitären System trennt“. Die Humanistische Union will wegen des Geheimpapiers vor Gericht gehen. Keiner der Einwände gegen die Volkszählung, so Seifert, richte sich gegen die frei könne die HU allerdings nur dagegen, daß sie als Extremistische Organisation eingestuft werde. Atom–Abkommen unterzeichnet Moskau (dpa/taz) - In Moskau haben Forschungsminister Riesenhuber und der Vorsitzende des sowjetischen Staatskomitees für die Nutzung der Atomenergie, Petrosjanz am Mittwoch das deutsch–sowjetische Abkommen zur nuklearen Zusammenarbeit unterzeichnet. Beide Redner garnierten die Vertragsunterzeichnung mit salbungsvollen Reden. Riesenhuber verwies auf die gemeinsame große Aufgabe zum „Nutzen der Menschheit“, Petrosjanz sah einen kleinen Anfang auf dem „weiten Weg der intensiven Zusammenarbeit“. Jenseits dieser schönen Reden geht es vor allem um die Zusammenarbeit bei der Reaktorsicherheit. Die Kraftwerksunion (KWU) soll mit Service und Nachrüstung sowjetischer Reaktoren ins Geschäft kommen. Ein anderer Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist die Beseitigung radioaktiver Abfälle. Hier könnten die Sowjets als Gegenleistung deutschen Atommüll abnehmen. Petrosjanz sagte, auch der „Schock des Unglücks in Tschernobyl“ habe die allgemeine Einschätzung zur Kernenergie in der Sowjetunion nicht verändert. Bei ihrem weiteren Ausbau sollten allerdings Sicherheitsfragen in den Vordergund treten. Das Atomabkommen sollte schon im November unterzeichnet werden. Damals war der Riesenhuber–Besuch wegen des Goebbels– Zitats von Kohl abgesagt worden.