Werbeoffensive aus Paris

Paris (taz) - Ein Jahr nach Tschernobyl ist der Atomunfall in Frankreich Gegenstand weitaus heftigerer Diskussionen als noch vor einem Jahr. Indes - vor einem Jahr fand die Katastrophe hier nicht statt. Man aß, fraß und trank weiter wie Gott in Frankreich, als wäre nichts geschehen. Erst viel später gaben Umfragen die ersten Alarmsignale. 79 % der Befragten meinten im November 1986, bei der ersten großen französischen Tschernobylumfrage, daß sie über die der Folgen des Unfalls belogen worden seien, 68% hielten ein Tschernobyl auch in Frankreich für möglich. Auch andere Umfragen verzeichneten einen gewissen Stimmungsumschwung in Frankreich zuungunsten der Atomkraft, und im Industrieministerium begann man, die Anzeichen ernst zu nehmen. In Atomfragen begann eine neue Informationspolitik, in Übereinstimmung mit den AKW– Betreibern. Niemals zuvor hat die französische Öffentlichkeit so schnell von einem bedeutenden Unfall in einem Kraftwerk Kenntnis nehmen können wie vor kurzem beim Fall des Natriumlecks im Schnellbrüter von Malville. Das Kalkül der französischen Atomplaner hat sich nach Tschernobyl geändert: Man will der derzeitig weitverbreiteten diffusen Atomskepsis auf offensivem Wege zuvorkommen. Die neue Informationspolitik der französischen Elektrizitätswerke EdF soll die Franzosen lehren, das atomare Risiko nicht mehr wie bisher zu verdrängen, sondern bewußt zu akzeptieren. Georg Blume