: Schwarzer Peter
■ Shultz stellt Bundesregierung vor Entscheidung
Eine Woche wurden die Karten gemischt, die Kräftekonstellationen getestet und hinter den Kulissen abgestimmt. Jetzt liegt das Blatt offen auf dem Tisch und für jeden ist klar, wer den Schwarzen Peter in der Hand hält. Mit einer für die Reagan–Administration geradezu revolutionären Deutlichkeit hat US–Außenminister Shultz die Bundesregierung öffentlich vor eine klare Entscheidung gestellt: Entweder sie akzeptiert den sowjetischen Vorschlag einer Null–Lösung auch im Bereich der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite, oder sie garantiert den USA die zügige Stationierung neuer nmoderner US–Mittelstreckenraketen auf bundesdeutschem Boden. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesregierung die Amerikaner zu einer neuerlichen Aufrüstung nötigen müßte, die diese selber für überflüssig halten. Konnte sich die Bundesregierung bislang gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung noch im Kreis der NATO verstecken und die Entscheidung für eine neuerliche Aufrüstung als unerläßlich für das Bündnis als ganzes hinstellen, wäre sie jetzt gezwungen, allein die Rolle des Scharfmachers zu übernehmen. Zumindest die Reagan–Regierung hat aus der bundesdeutschen Nachrüstungsdebatte gelernt: Nicht noch einmal möchte sie von der europäischen und vor allem bundesdeutschen Friedensbewegung als Kriegstreiber an den Pranger gestellt werden und für bundesdeutsche Politiker den Kopf hinhalten. Wenn die Union die Raketen unbedingt will, dann, so Shultz, soll sie sich mit dem zu erwartenden Sturm der Entrüstung im Lande allein auseinandersetzen. Für das bloß auf dem Papier stehende Recht auf Aufrüstung will Reagan sich jedenfalls eine Übereinkunft mit Gorbatschow nicht vermasseln lassen. An diesem Brocken wird Kohl schwer zu kauen haben. Selbst wenn Mitterrand und Thatcher ihn unterstützen, dürfte eine neuerliche Aufrüstung gegen den größten Teil der Bevölkerung, die gesamte Opposition und Genschers FDP kaum durchsetzbar sein. Wahrscheinlicher ist, daß diese Entscheidung Reagans die Falken in Westeuropa enger zusammenbringt, mit dem Ziel, mittelfristig unabhängig von den USA eigene Aufrüstungsprojekte in Angriff zu nehmen. Jürgen Gottschlich
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