Auf dem Weg zur Ordnungszelle

■ Innenministerium und Bezirksregierung setzen rot–grüne Stadtrats–Mehrheit außer Kraft / Rigide Verbots– praxis betrifft vor allem das KOMM / SPD hält wegen anstehender OB–Wahl still / Stadtverwaltung zieht mit

Aus Nürnberg Bernd Siegler

Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, Festnahmen und Veranstaltungsverbote am laufenden Band. In den letzten Monaten wird kein Versuch ausgelassen, das „Modell Bayern“ exemplarisch in Nürnberg zu exerzieren. Polizei, Innenministerium und die Bezirksregierung von Mittelfranken als zuständige Rechtsaufsicht der Stadt arbeiten Hand in Hand, um die liberalen Strukturen der Stadt zu zerstören. Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Die Sozialdemokraten sind auf Konfliktvermeidungskurs, denn im Oktober steht die Wahl des Oberbürgermeisters an. Seit den letzten Landtags– und Bundestagswahlen, die für Nürnberg jeweils eine numerische schwarz–liberale Mehrheit ergaben, rechnet sich der CSU– Bewerber Günther Beckstein, Vorsitzender des Sicherheit Muskelspiel zu sein. Per rechtsaufsichtlicher Beanstandung und Dienstanweisung an den 1982 aus der SPD ausgetretenen Oberbürgermeister Urschlechter wird die rot–grüne Stadtratsmehrheit außer Kraft gesetzt. Rechtsreferent Dr. Sauber, ein rechter SPD– Mann, und der Leiter des Ordnungsamtes, Nehrlich, tun in der Stadtverwaltung ihr Übriges, um diese Schritte abzusichern. Nur selten beschreitet daher die Stadt den Klageweg. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht wie so oft das Kommunikationszentrum am Bahnhof (KOMM). Seit dem Probelauf 1973 ist diese „linke Kaderschmiede“, der „Schandfleck an der Eingangspforte der historischen Altstadt“ der CSU ein Dorn im Auge. Kurz nach den Massenverhaftungen im März 1981 im KOMM schränkt die Bezirksregierung das offene Selbstverwaltungsmodell unter städtischer Regie ein. Mit einer Dringlichkeitsanfrage der CSU im Stadtrat am 7. April dieses Jahres beginnt der Verbotsreigen im KOMM. Zwei Tage später besuchen Zivilbeamte das im KOMM tagende Forum gegen die Volkszählung“ und schreiben eifrig mit. Am 11. soll das „Vernetzungstreffen der bayerischen Volkszählungsgegner“ der bayerischen Grünen am gleichen Ort stattfinden. Doch dazu kommt es nicht. Das Innenministerium hatte bereits Ende März die Kom munen davor gewarnt, Volkszählungsgegnern öffentliche Gebäude zur Verfügung zu stellen. Die Bezirksregierung beanstandet daraufhin den bereits von der Stadt unterzeichneten Mietvertrag. OB Urschlechter kündigt am 10.April die Verträge. Die Mandatsträger der SPD halten still. SPD–Kandidat zieht mit Knapp eine Woche später gibt der SPD–OB–Kandidat Peter Schönlein einen Vorgeschmack auf sein späteres Tun. Widerspruchslos vollzieht er als Stellvertreter des OB die von der Bezirksregierung initiierte Kündi gung des Mietvertrages für eine Volkszählungsveranstaltung der Grünen im städtischen Gemeinschaftshaus Langwasser. „Wir wissen noch gar nicht, wie sich das auswirkt“, spielt die grüne OB– Kandidatin Sophie Rieger auf die erwartete Stichwahl an, bei der der SPD–Kandidat die grünen Stimmen dringend benötigen wird. Am 22.4. schließlich wird das „Forum gegen die Volkszählung“ im KOMM verboten. Die Bezirksregierung beruft sich bei ihrer Begründung auf den Aktenvermerk, den die beiden Beamten zwei Wochen zuvor angefertigt hatten. Zudem widerspreche eine derartige Veranstaltung dem Widmungs zweck „Freizeitgestaltung“ des KOMM. Die zuständigen Referenten halten Klagen für chancenlos. Während Kulturreferent Glaser (SPD) zwar von Veranstaltungen „contra legem“ spricht, beklagt er immerhin die „Beschneidung von Freiheiten“. „Mit großer Verärgerung, Betroffenheit und Pessimismus beobachte ich diesen systematischen Versuch, das Modell KOMM auf diese Weise zu beeinträchtigen.“ Rechtsreferent Sauber hingegen ist zufrieden. Mit den Stimmen von SPD, CSU und FDP appelliert der Stadtrat an die Nürnberger, sie mögen „ihrer Auskunftspflicht genügen und die Zähler unterstützen“. Schon bei der heißumstrittenen Bundeskonferenz der Anti–AKW– Initiativen (BUKO) Mitte Januar im KOMM hatten Ordnungsamt und Rechtsreferent letztendlich der Staatsregierung die Munition für ein Verbot geliefert. Rechtsreferent Sauber war schon von Anfang an entgegen der SPD–Linie von einem „Verbotstatbestand“ ausgegangen. Niederlage ausbügeln In der Tatsache, daß die BUKO aufgrund unerwarteter Gerichtsurteile doch noch überwiegend stattfinden konnte, glauben KOMM–Mitarbeiter den Grund für die rigide Verbotspraxis zu sehen. „Die haben die Niederlage nicht verkraftet und wollen dies wiedergutmachen.“ Dabei schreckt die Kripo Nürnberg bei der Ausführung eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts München auch vor Rechtsbrüchen nicht zurück. Die Wohnung von Bernd O. wird in seiner Abwesenheit aufgebrochen, der Durchsuchungsbefehl auf den Küchentisch hinterlegt. Bernd O. fungierte lediglich auf Flugblättern als Kontaktperson des „Anti– Strauß–Komitees“. Wenig später werden in Nürnberg 22 Personen wegen Verdachts des Landfriedensbruchs festgenommen und über Nacht inhaftiert. Sie hatten Parolen an die Gefängnismauer gesprüht. Der Prozeß gegen Verantwortliche des Anti–WAA–Magazins „RadiAktiv“ geht vor dem Nürnberger Amtsgericht unter Sicherheitsvorkehrungen über die Bühne, die bisher lediglich aus Terroristenverfahren bekannt waren. Als Vorreiter in der Republik erläßt die Nürnberger Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen einen AIDS–infizierten Mann, der seine Geschlechtspartner nicht über seine Erkrankung aufgeklärt hatte. Das Schülermagazin „Fetzngaier“ wird im KOMM beschlagnahmt, weil es u.a. mit einem Comic „Perversitäten wie hier den Oralverkehr verherrlicht“ haben soll. Daneben wird ein anonymes Interview mit vier Autonomen zur „Anti–Kapitalistischen–Woche“ im KOMM beanstandet. Im von Repressionen gebeutelten KOMM befürchtet man daraufhin ein Verbot der gesamten Veranstaltungsreihe. Als ein Transparent der Autonomen wegen „Aufforderung zu Straftaten“ im KOMM sichergestellt werden soll, wird mancherorts in Umkehrung von Ursache und Wirkung das Tun der Autonomen für die Störung des Friedens des Hauses verantwortlich gemacht. Das Klima im Modell Nürnberg zeigt aber auch ganz andere Früchte. In der April–Ausgabe des PP–Info des örtlichen Polizeipräsidiums ist der Brief eines Nürnberger Bürgers veröffentlicht, versehen mit einer Liste städtisch subventionierter Zentren und Projekte, darunter das KOMM. „Bitte ziehen Sie aus diesen schockierenden Informationen Ihre eigenen Schlüsse“, schreibt der Bürger. 9.5., 20 Uhr im KOMM: Verzähl nix - VOLKSzählungsFEST 12.5., 19 Uhr im KOMM: Erweiterte Mitgliederversammlung zur Verbotspraxis