Australien: Nach wie vor Rohstoffgrube und Farm

■ Enttäuscht vom korporativen Staat / Geistige Wende des Kabinetts Hawke / Sparhaushalt und Privatisierungskonzepte / die nächsten Wahlen sind völlig offen

Von Eckart Garbe

Bis vor kurzem noch brandmarkte die australische Labor Party jedwede Privatisierungsidee als Idee von Vandalen. Mit dem am 14. Mai in Canberra zur Verabschiedung anstehenden Mini–Budget deutet sich jetzt erstmals eine Kehrtwende dieses Glaubenssatzes an. Die Regierung des pragmatischen Labor–Premiers Bob Hawke wirft damit demonstrativ ideologischen Ballast ab. Australiens Kassenwart Paul Keating, der starke Mann im Kabinett, kündigt den Verkauf von Staatsbesitz und staatlichen Firmen, Werften und Flughafengebäuden an. Anscheinend ist sogar daran gedacht, nach und nach Anteile des Luftfahrtunternehmens Quantas und von Banken zu verkaufen. Paul Keating hofft, so neue Geldmittel für diese Betriebe zu beschaffen und gleichzeitig das Defizit der Staatskasse wenigstens etwas zu senken. Denn Australien türmt seit ein paar Jahren einen wachsenden Berg an Auslandsschulden auf. Falls das Kabinett Hawke den staatlichen Bereich tatsächlich teilweise privatisiert, begibt es sich nicht allein in Gegensatz zur eigenen Labor–Tradition, die wirtschaftliche Schlüsselbereiche stets als Monopol des Staates begriff, sondern bricht auch historisch zu neuen Ufern auf. Staatliche Investitionen und Aktivitäten haben schließlich seit je auf dem Inselkontinent eine weit stärkere Rolle gespielt als etwa in Europa oder den USA. Daß die zu Anfang ihrer zweihundertjährigen Siedler–Geschichte ausgewanderten irischen Kartoffelbauern leichtfüßig mit Spaten und Hacke den Boden des riesigen Kontinents nach Gold durchwühlten und dort, wo sie nichts fanden, zumindest Parkplätze für ihre Schafherden entstanden, ist eine bis heute beliebte Legende. So sehen sie sich gern: die Aussies in Gottes eigenem Land, mit Witz und starken Muskeln wie Paul Hogan in Crocodile Dundee, als charmante Haudegen und Pioniere. Dieses Image eines echten Mannsbilds hatte auch den Sunnyboy Bob Hawke schon nach oben gebracht. Australiens Saga beruht tatsächlich auf Gold, dann nochmal auf Gold, dann erst auf Wolle und schließlich auf Weizen. Doch der Staat spielte, wie es sich für eine Strafkolonie auch wohl gehört, bei alledem die entscheidende Rolle. Er brachte die Sträflinge ins Land, die damals noch bettelarm von Schaf– und Ziegenfleisch lebten. Als sie 1851 Gold entdeckten, wurden wiederum auf staatliche Kosten Immigranten geholt, der Staat ließ Eisenbahnen zu den entferntesten Minen bauen, Straßen und Telegraphenstationen. Die Pioniertaten folgten der Initiative des Staats. Als der Goldrausch verebbte, gab es um die Minen herum zu viele Schafe; so schor man ihnen das Fell und verschiffte die Wolle. Die Bahnen und die Dampfschiffe brauchten Kohle, zu den Kohlegruben wurden neue Schienen ge legt, Stromstationen wurden gebaut. Entlang der Eisenbahnstrecken blühten die Weizengürtel auf, was wiederum nur dort klappte, wo man auf Staatskosten ein Wasserpipeline–Netz installierte - sonst nämlich verdorrte in der Hitze die Ernte. Der Kontinent, der 32mal so groß ist wie die Bundesrepublik, erforderte ein starkes staatliches Engagement. Und weil in dem Riesenland nur wenige Menschen lebten, hatte Australien bis 1915 das höchste Prokopf–Einkommen weltweit. Heute krabbelt das lucky country von einst irgendwo unterhalb von Platz 25 der Hitliste des Reichtums herum - im Jahr 2000 wird es statistisch ein Dritte–Welt–Land sein. Bleibt die Industrie so schwach wie sie ist, und damit im Schatten der ostasiatischen Ökonomien, dann entwickelt sich Australien nach den Worten seines Schatzmeisters Keating zu einem rohstoffliefernden Bananenstaat, der sich auf Dauer den Lebensstandard der Ersten Welt nicht erlauben kann. Also schreiten Labor–Kassenwart Keating und sein Chef, Ex– Gewerkschaftsboß Hawke, jetzt deutlich zur Sache: der schleichende Sozialabbau nimmt zu, die Investitionskontrollen - ein Heiligtum des linken Staatsbesitzes - stehen plötzlich zur Disposition. Fast scheint dies wie ein Schwenk in Richtung auf die australische Neue Rechte, marktradikale Konservative, die vehement für eine generelle Zurücknahme des Staates plädieren. Ob diese Wende angesichts der schrumpfenden Märkte, des Verfalls des Aussie–Dollars und der seit drei Jahren stagnierenden Löhne zu positiven Ergebnissen führt, ist zu bezweifeln. Bob Hawke hatte schon 1983, als er erstmals ins Amt kam, durch eine konzertierte Aktion die Reallöhne gedrückt und die Gewerkschaften an sich gebunden - ohne daß dies den Kontinent mit seinen heute 16 Millionen Einwohnern aus seinen Problemen befreite. Denn die australische Wirtschaft fungiert noch wie eh und je viel zu stark als Farm und Rohstoffgrube der industrialisierten Welt. Lediglich die Kundschaft hat sich radikal verändert: der australische Handel mit Großbritannien ging von 40 Prozent vor drei Jahrzehnten auf jetzt fünf Prozent zurück, während im selben Zeitraum der Austausch mit Japan hochschnellte von fünf auf 25 Prozent. Japan bezieht vor allem Eisenerz, Kohle und Gas. Alles in allem ist der fünfte Kontinent heute zwar wirtschaftlich auf den pazifischen Raum hin orientiert, seine Funktion als Lieferant von unveredelten Stoffen ist jedoch zum Großteil die alte. Und das bringt nichts als Verdruß: subventionierte Weizenexporte aus Europa und vor allem aus den USA rauben Märkte und drücken die Preise, der Wollabsatz stockt. Australien, das 40 Prozent seines Exporteinkommens noch aus der Landwirtschaft zieht, stößt diese Konkurrenz bitter auf. Die Bauern sind von den großen Parteien enttäuscht, die kleinen Geschäftsleute auch. Big government, big unions, big business werden zunehmend als Ursachen des Übels gesehen - ein prima Nährboden für die Neue Rechte. Die filzdurchsetzte Labor Party versucht jetzt die Flucht nach vorn, in ein moderneres Image. Sie braucht dies innerhalb der nächsten zwölf Monate dringend: denn vier Prozent Stimmenverlust würden genügen, um sie zu stürzen. Ohne die trübe Lage der konservativen Opposition wäre die Popularität ihres Premiers Bob Hawke längst schon dahin. Jedenfalls in den Provinzstädten und kleineren Orten, wo die Unzufriedenen die nächsten Wahlen entscheiden. Selbst in Melbourne wurde der angebliche Schwarm der australischen Weiblichkeit, Regierungschef Hawke, in den letzten Wochen schon mehrere Male ausgebuht. So steht es für die kommenden Wahlen wohl abermals Kopf an Kopf.