„Nur Lebensmittel“ für staatliches Spielgeld

■ In Göttingen wollte der „Arbeitskreis zur Unterstützung der Asylsuchenden“ mit Flüchtlingen Bier und Zigaretten mit lilafarbenen Warenbons einkaufen / Die Aktionswoche macht auf die Situationen der Asylsuchenden aufmerksam

Aus Göttingen Rainer Paul

„Kein Bier, kein Alkohol, keine Zigaretten nur Lebensmittel“. Der Mann, Geschäftsführer eines Göttinger Billig–Supermarktes, ist sichtlich genervt. Hat er angesichts klickender Kameras und eingeschalteter Mikros noch mühsam Haltung bewahrt, ist jetzt, als der fünfte Asylbewerber eine Dose Bier für 39 Pfennig mit einem Gutschein statt mit Bargeld bezahlen will, der letzte Rest aufgesetzter Freundlichkeit aus seinem Gesicht gewichen. Er wieselt zwischen den beiden Laden–Kassen hin und her, greift hier eine Schachtel Marlboro vom Warenband, stellt da ein Päckchen Tabak zurück ins Regal. Gleichzeitig versucht er, eine Gruppe aufgeregter Ghanaer mit den wütend ausgestoßenen Wortfragmenten „Zigarett? Nix!“ zu überschreien und einem Libanesen, der ihm ein lilafarbenes, wie Monopoly–Geld aussehendes Papierscheinchen hinhält, seinen Platz als Geschäftsführer zwischen den Stühlen deutlich zu machen: „Kinder, ich darfs doch nicht machen. Ich darfs einfach nicht.“ Die Aktion ist Bestandteil einer Kampagnen–Woche des niedersächsischen Flüchtlingsrates, mit der landesweit gegen die Ausgabe von Warengutscheinen an Asylbewerber protestiert wird. Dabei stellen die Papiermarken im Wert von einer, fünf, zehn und 20 Mark noch die fortschrittlichere Variante des sogenannten Sachleistungssystems dar. Die in den Hannoveraner „Zentralwohnheimen“ lebenden Asylanten müssen z.B. ihre bargeldlosen Einkäufe nach wie vor in den lagereigenenen Läden tätigen und dort verrechnen lassen. Die Einführung von Lebensmittelgutscheinen in Göttingen und einigen anderen niedersächsischen Städten war das Ergebnis eines mehrwöchigen Hungerstreiks, der im Februar letzten Jahres von Asylbewerbern in mehreren Lagern durchgeführt wurde. Außer einem monatlichen Barbetrag von 117 DM erhalten die erwachsenen Asylanten seit dem 1. Juni 1987 nur noch sieben statt bisher acht Mark „Essensgeld“ pro Tag in Gutscheinen. Damit können sie in zehn Göttinger Geschäften einkaufen; allerdings dürfen Alkohol und Tabak nicht ausgegeben werden, weil das nach Ansicht der Landesregierung Genuß– und keine Lebensmittel sind. Wechselgeld wird nur bis maximal 99 Pfennig herausgegeben. In mehreren Läden, so versichern Betroffene, würden sie um ihr Wechselgeld ohnehin fast immer betrogen. In der Informations– und Aktionswoche wollen der Flüchtlingsrat und andere Solidaritätsgruppen auch auf weitere, seit Anfang des Jahres gültige Verschärfungen hinweisen. Dazu zählt, neben der Einführung der Visapflicht, vor allem die Ausdehnung des Arbeitsverbotes für nicht anerkannte Asylbewerber von zwei auf fünf Jahre. Ihren „Wohnort“ dürfen die Ausländer auch zu Verwandtschaftsbesuchen nur mit Sondergenehmigung verlassen. Und die Unterbringung in Sammelunterkünften ist nunmehr „Zielbestimmung“. Ziel der Aktionswoche ist es, möglichst viele zu motiovieren, den Asylbewerbern regelmäßig Gutscheine abzukaufen, um diese Regelung zu unterlaufen. Im Supermarkt hat der Geschäftsführer nun endgültig die Nerven verloren. „Ich kann auch anders“, ereifert er sich, als ein Farbiger an der Kasse seelenruhig ein Bier aufreißt, einen Schluck nimmt und der Kassiererin lächelnd einen Bon hinhält. Der Chef beauftragt einen Angestellten, die Polizei zu benachrichtigen, die dann auch prompt mit drei Streifenwagen vorfährt. Aber die Einkaufsgesellschaft läuft auseinander, und der Geschäftsführer will großzügigerweise nun auf einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl der besagten Dose Bier verzichten. Den Bon dafür nimmt er trotzdem nicht an.