„Mit Stimmzettel und Gewehrkugel“

■ Unterhauswahlen in Nordirland: In den meisten Wahlkreisen steht das Ergebnis schon fest / Die Unionisten brauchen Stimmen, um das anglo–irische Abkommen rückgängig machen zu können

Aus Belfast Ralf Sotschek

An der Autobahnausfahrt, die in den protestantischen Teil Belfasts führt, klebt auf einer riesigen Plakatwand das Bild eines maskierten IRA–Mannes mit einem Gewehr in der Hand, darunter die Worte: „Das ist keine Demokratie“. Etwas weiter die Straße hoch ist eine Hauswand mit einem anderen Plakat zugeklebt: Ein schlafendes Baby, das an seinem Daumen nuckelt. „Einige britische Babys sind weniger gleich als andere“, verkündet der Text. Beides sind Wahlplakate der protestantischen Unionisten Nordirlands. Sie wollen britisch bleiben und behaupten, das anglo– irische Abkommen habe sie zu Briten zweiter Klasse gemacht, weil es Dublin ein begrenztes Mitspracherecht in nordirischen Angelegenheiten einräume. Für die britischen Parlamentswahlen haben sich die „offiziellen Unionisten“ und Paisleys „demokratische Unionisten“ mühsam auf gemeinsame Kandidaten und ein Minimalprogramm geeinigt. Einziger Programmpunkt ist der Kampf gegen das Abkommen, das trotz 18monatiger friedlicher und gewaltsamer Proteste immer noch besteht - zumindest auf dem Papier. Die Einigung auf gemeinsame Kandidaten wurde von der Not diktiert, die protestantischen Stimmen nicht zu spalten, um möglichst viele Wahlkreise zu gewinnen. Den Unionisten sind 13 der 17 nordirischen Westminster– Sitze sicher, ein weiterer kommt wahrscheinlich hinzu. So hoffen die Unionisten auf eine Patt–Situation im britischen Parlament, damit sie als „Zünglein an der Waage“ ihrer Forderung nach Stornierung des Abkommens Nachdruck verleihen können. Die wichtigste Entscheidung fällt in Nord–Belfast, dem Wahlkreis mit dem größten Anteil an katholischen Wählern. Sinn–Fein– Präsident Gerry Adams muß hier den einzigen Parlamentssitz von Sinn–Fein, dem politischen Flügel der IRA, verteidigen. Der Wahlkampf in den Slums ist für ihn ein „Heimspiel“. Außerhalb der Ghettos ist es für Adams schwerer; die gemäßigte sozialdemokratische SDLP hat Boden wettgemacht, auch wenn Spötter sagen: „Es steht wohl eine Wahl vor der Tür. Im SDLP–Büro brennt Licht“. Vor Beginn des Wahlkampfes war die SDLP nämlich kaum in West–Belfast präsent. Zur Wahl hat sie den Arzt Joe Hendron aufgestellt, der im vornehmen Süden der Stadt wohnt. Die SDLP unterstützt als einzige nordirische Parlamentspartei das anglo–irische Abkommen, sie will mit einem guten Wahlergebnis die Sympathien für das Abkommen demonstrieren, das auch anderthalb Jahre nach der Unterzeichnung kein einziges konkretes Ergebnis hervorgebracht hat. Für die Taktik von Sinn–Fein und IRA, mit „Stimmzettel und Gewehrkugel“ gegen die britische Besatzung Nordirlands zu kämpfen, ist Adams Wiederwahl von entscheidender Bedeutung. Verliert er seinen Sitz, wird die Fraktion der IRA Auftrieb bekommen, die einen harten Kurs vertritt, und das Gewicht des Kampfes wird sich auf die Gewehrkugel verlagern.