I N T E R V I E W „Der Honecker–Besuch darf nicht gefährdet werden“

■ Der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSU, Eduard Lintner, über die Konsequenzen des Ostberliner Mauerprotestes

taz: Wie sieht das politische Bonn die Vorgänge am Brandenburger Tor? Lintner: Derartige Vorgänge liegen so lange in der Luft, wie eben die nötigen Freiheiten nicht gewährt werden. Daß es immer wieder bei entsprechenden Anlässen zu Protestaktionen kommt, damit muß man rechnen. Ist die Auseinandersetzung mit dem 17. Juni 1953 vergleichbar? Nein, man soll aus den Vorgängen nicht mehr machen, als sie tatsächlich signalisieren. Es war der Wunsch der Jugendlichen, Rockmusik zu hören. Das ist ihnen verwehrt worden. Deshalb entstand der Protest und dabei war das Thema natürlich die Mauer, weil sie ja das eigentliche Hindernis ist. Sollten solche Konzerte künftig auf dem Reichstagsgelände vermieden werden? Nein, das wäre eine unmögliche Reaktion. Wir können bei uns doch nicht Freiheit abbauen. Es ist völlig unzumutbar, an dieser Stelle in die Freiheit des Unternehmers einzugreifen, der das Konzert organisiert. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie für die deutsch–deutschen Beziehungen? Man muß zwei Dinge unterscheiden. Im Hinblick auf die Verhaltensweisen gegenüber Journalisten, die sich im Rahmen der Vereinbarungen bewegt und gearbeitet haben, ist der Protest erfolgt. Von der DDR muß sichergestellt werden, daß ähnliche Übergriffe nicht mehr passieren. Im Hinblick auf die Jugendlichen braucht die Bundesregierung nicht umzudenken. Wir haben immer darauf hingewiesen, daß der Mangel an Freizügigkeit zu solchen Stauungen und Affekten führt. Man kann nur an die DDR–Führung appellieren, Formen der Freizügigkeit einzuführen, die ein so harmloses Vergnügen wie das Zuhören bei einem Rock–Konzert ermöglichen. Wir brauchen totale Freizügigkeit, das ist die Forderung, die immer wieder auf den Tisch gelegt werden muß. Wir müssen als Mahner und als Forderer der Menschen auftreten, die von der mangelnden Freizügigkeit betroffen sind. Sind Städtepartnerschaften und Jugendaustauch das geeignete Mittel? Das ist eine Art Herantasten an die Freizügigkeit, aber nicht das, was wir haben wollen, eine problemlose Grenze, wo die Menschen hin und her reisen können. Die Jugendlichen haben die Internationale gesungen. Verdrießt Sie das? Nein, überhaupt nicht. Zumal sie eine Passage gesungen haben, die von den Menschenrechten handelt. Das war eine Form der kritischen Meinungsbekundung, die sehr gekonnt war. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die DDR Jugendliche bestraft, weil sie die Internationale singen oder nach Gorbatschow rufen. Das würde das Regime doch bis zur Lächerlichkeit bloßstellen. Der oberste Repräsentant dieses Regimes, Honecker, will zu Besuch kommen. Halten Sie das noch für realisierbar? Ich würde meinen, wir haben Probleme miteinander, die besprochen werden müssen. Man muß Meinungen an kompetenter Stelle los werden, und Honecker ist der Kompetenteste überhaupt. So gesehen ist sein Besuch eine Gelegenheit, die Dinge offen anzusprechen. Er darf jetzt nicht gefährdet werden. Interview: Benedict M.Mülder