Jerusalem in blau–weiß

■ Auch die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Eroberung des Ostteils der Stadt können Gegensätze nicht verdecken / Gespräche über die Zukunft der Westbank

Aus Jerusalem Klaus Riemer

Jerusalem ganz in blau–weiß: Bereits am 27. Mai wurde, dem hebräischen Kalender zufolge, der „Jerusalem–Tag“ gefeiert, die Eroberung des Ostteils der Stadt im Zuge des Sechstagekrieges vor 20 Jahren. Überall flattern die Fahnen mit dem Davidstern, auf öffentlichen Gebäuden, entlang der Hauptstraßen, hier und da an Privathäusern. Selbst die Laternen rund um die Mauern der Altstadt wurden pünktlich für diesen Tag neu gestrichen, blau–weiß natürlich. „Dies ist ein Glückstag“, sagt mein Taxifahrer,“wir feiern den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung Jerusalems“. Zahllose Busse haben die Stadt mit Gruppen aus allen Teilen des Landes überschwemmt. Sie flanieren sogar im moslemischen Viertel der Altstadt, wo man sonst selten einen Juden ausmachen kann. An der Klagemauer drängen sich die Betenden. Zwischen Jeans, T–Shirts und Kampfanzügen ist nur ein vereinzelter Kaftan sichtbar, während an anderen Tagen die orthodoxen Juden das Bild beherrschen. Bei dem strahlenden Sommerwetter erinnert die Szenerie an einen bunten und friedlichen Ausflugstag, wären da nicht überall die Gewehre, die selbst Zivilisten mitschleppen. Keine Gruppe darf ohne mindestens einen Bewaffneten unterwegs sein. Die Bewohner des arabischen Viertels gehen unterdessen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach. In den Schulen haben bereits die Ferien begonnen - vorzeitig. Die Behörden erhofften sich davon möglichst „störungsfreie“ Tage um den 5. Juni, dem Jahrestag des Krieges von 1967. Freilich kam es am letzten Wochenende trotzdem in mehreren Städten der Westbank und des Gaza–Streifens zu Streiks, Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Besatzung. Skepsis gegen die internationale Konferenz... „Dies ist ein jüdischer Staat“, sagt mir abends Uri, ein jüdischer Intellektueller. „Und Israel muß auch ein jüdischer Staat bleiben.“ Wir sitzen in einem Restaurant in Ostjerusalem, in dem ich zwei Tage zuvor mit Palästinensern diskutiert hatte, Mitgliedern der Menschenrechtsorganisation „Al Haq“ aus Ramallah, die mir Praktiken der Besatzung erklärten. „Ich bin gegen die Besatzung“, sagt Uri, „aber die ist nun mal eine Tatsache, und eine Besatzung impliziert eben Ungerechtigkeit.“ Ob es gerechtfertigt sei, Universitäten für vier Monate zu schließen wie jetzt Bir Zeit? Auch in der Westbank solle der intellektuelle Standard angehoben werden, entgegnet er, und die Palästinenser seien das gebildetste Volk in der arabischen Welt. Dieser Bildungsstandard sei unter der jordanischen Herrschaft nicht erreicht worden, erst während der 20 Jahre israelischer Besatzung. Aber wenn die Universitäten Orte des Aufruhrs und der Anstiftung zu Unruhen seien, wenn dort Schriften gegen die Besatzung und den Staat kursierten, müßten sie halt geschlossen werden. Von dem Vorschlag einer internationalen Nahost–Friedenskonferenz erwartet Uri nicht viel. Aber man dürfe nichts unversucht lassen, fügt er hinzu. Langfristig müsse die Westbank - ohne Jerusalem - an Jordanien zurückgegeben werden, mit König Hussein könne man schließlich reden. Einen unabhängigen Palästinenserstaat auf der Westbank hält Uri jedoch trotz aller Kompromißbereitschaft nicht für akzeptabel. Die palästinensischen Studenten, die ich in Ramallah treffe, stehen einer internationalen Konferenz ebenfalls skeptisch gegenüber. Sie befürchten vor allem eine zu starke Einflußnahme Jordaniens. „Die Westbank zur Eastbank?“, fragt Safa. „Haben wir solange gekämpft, um schließlich unter jordanische Herrschaft zu kommen?“ Jordanien erfreut sich bei vielen Palästinensern diesseits des Jordan spürbarer Unbeliebtheit. .. und die Rolle Jordaniens „Trotzdem gibt es keine andere Lösung, als die Westbank zunächst einmal wieder Jordanien anzugliedern“, meint ein palästi nensischer Akademiker, der in der jordanischen Hauptstadt Amman arbeitet und erstmals wieder seine Heimatstadt Nablus besucht. Doch in diesem Fall seien neue Probleme absehbar: zwischen Palästinensern und Jordaniern um die Macht im Lande, aber auch unter den Palästinensern, zwischen den verschiedenen Flüchtlingsgenerationen und denjenigen, die Besitzer jordanischer Pässe sind, und sich recht oder schlecht mit den Verhältnissen im Königreich arrangiert haben. Bleibt die Frage nach der Zukunft der jüdischen Siedlungen. Auch Uri kann sich vorstellen, daß sie unter jordanischer Herrschaft bestehen bleiben können. Israel habe in seiner jungen Geschichte Menschen unterschiedlichster Herkunft assimiliert, das sollten die Araber erst mal nachmachen. Außerdem sei die israelische Besatzung noch relativ liberal. - Aber die palästinensischen Flüchtlingslager ähnelten Gefängnissen, wende ich ein, eingeschlossen von hohen Zäunen, Mauern und überall Soldaten. - Vielleicht seien gerade Soldaten dagewesen, weil zuvor Steine geflogen sein, meint Uri. Daß dort immer Soldaten stünden, nein, das glaube er nicht. Am nächsten Tag fahre ich nach Hebron. Ich habe drei palästinensische Jugendliche mitgenommen. Amal macht gerade ihr Abitur, Raid und Saher sind in Kuwait aufgewachsen, mußten nach dem Tod ihres Vaters die Westbank verlassen und kehren nun im Alter von 14 und 17 Jahren zum ersten Mal in ihre Heimat zurück. Rückkehr auf Zeit „Wohnen hier Araber?“, fragen sie, als wir Jerusalem hinter uns lassen und Richtung Süden fahren. Nein, das ist ein jüdischer Vorort, und das da oben auf den Hügeln, was wie eine Festung ausssieht, das ist eine jüdische Siedlung. Und dann sehen wir Palästina: Gärten, Olivenbäume, kleine Dörfer, Kirchen, vor denen sich Touristen sammeln, neben eher ärmlichen Häusern vereinzelt moderne Gebäude derer, die ihr Geld im Ausland verdienen. „Und was ist das hier?“ Das ist das Gefängnis von Bethlehem. Und hier, hinter dem langen, hohen Zaun, das ist das Flüchtlingslager Deheische. Davor patrouillieren bewaffnete Soldaten. Sie sind immer hier.Es sieht aus wie ein großes Gefängnis. Am späten Nachmittag in einem kleinen Bergdorf hinter Bethlehem. Viele Männer arbeiten im Ausland, vor allem in den USA. Ein Onkel von Raid und Saher, den wir aufsuchen, ist vor einem halben Jahr von dort zurückgekehrt. Sein neues Haus war in der Zwischenzeit fertiggeworden. Jetzt wird er wieder weggehen, er findet keine Arbeit. Auch seine Nichte und sein Neffe werden vielleicht nicht lange bleiben: Sie besitzen keine gütlige Aufenthaltserlaubnis mehr und können jederzeit ausgewiesen werden. Ob sie denn jetzt besonders vorsichtig sein müssen, will ich wissen. Da zucken sie mit den Achseln. Aber sie lächeln zustimmend, als Amal auf dem Rückweg zum Auto einen Stein aufhebt. Nimmt sie den mit, um später damit zu werfen, frage ich scherzend. Sie lacht und geht darauf ein: Natürlich!“, sagt sie. „Wozu denn sonst?“ - „Und warum?“ - „Weil wir keine Gewehre haben.“