„Genossen, wählt nicht den Tod der KPF“

■ „Nationale Konferenz“ der französischen Kommunisten wählte am Wochenende den Marchais–Getreuen Lajoinie zum Präsidentschaftskandidaten / Innerparteilicher Opponent Pierre Juquin wird vielleicht Gegenkandidat / Spaltung der Partei in Sicht?

Aus Paris Georg Blume

Andre Lajoinie heißt der neue offizielle Kandidat der französischen Kommunisten für die Präsidentschaftswahlen im Mai 1988. Einstimmig beschlossen die 1.200 Delegierten der „Nationalen Konferenz“, dem höchsten Gremium der KPF zwischen den Parteitagen, am Sonnabend in Nanterre bei Paris die Kandidatur Lajoinies. Doch die Einheit der Partei trügt mehr denn je. Im Schatten der kommunistischen Kandidatenkür kündigte sich auf der „Nationalen Konferenz“ in Nanterre eine Spaltung der KPF auf ihrem nächstem Parteitag im Dezember dieses Jahres an. Andre Lajoinie, dem braven und ehrlichen Arbeitersohn aus dem Zentralmassiv, der in bedingungsloser Treue zu Generalsekretär Georges Marchais bis zum KPF–Fraktionsführer im Parlament avancierte, fehlte am Sonnabend eine Stimme, die allerdings seine politische Zukunft aufs Spiel setzt: Diese Stimme gehörte Pierre Juquin, dem Parteidissidenten, der zum Wahlgang nicht mehr erschien. Tags zuvor hatte sich Juquin deutlich erklärt: „Wählt nicht den Tod der KPF“, forderte er die Delegierten auf, nachdem er unter dem Pfeifkonzert seiner Genossen „Sprache und Verhalten“ der Partei als „bürokratisch, sektiererisch und von oben manipuliert“ verurteilt hatte. Pierre Juquin ist neben Georges Marchais Frankreichs bekanntester Kommunist. Bis 1985 war er Mitglied des Politbüros und Parteisprecher. Heute steht er - immer noch Mitglied im Zentralkomitee - an der Spitze der sogenannten „Renovateurs“, der parteiinternen Kritiker, die seit dem Regierungsaustritt der KPF 1984 ihre Stimmen auch öffentlich nicht mehr zurückhalten. Pierre Juquin und die „Nationale Koordination der kommunistischen Renovateurs“ an seiner Seite sprechen seit einigen Monaten ihre Hoffnung auf eine „Neuordnung der französischen Linken“ aus, in der sie eine Rolle „links von KPF und Sozialisten“ zu spielen gedenken. Ihr im Februar veröffentlichtes „Manifest“ unter dem Titel „Die Revolution, Genossen!“ stellt ein basisdemokratisches Gesellschaftsmodell in den Vordergrund. Seither ist viel von einer separaten Kandidatur Juquins bei den Präsidentschaftswahlen die Rede, auch wenn Juquin selbst diese Idee bisher entschieden zurückgewiesen hat. An der Trennung zwischen Kritikern und Parteiführung spätestens auf dem Parteitag im Dezember wird kaum noch gezweifelt. „Pierre Juquin steht seinem Verhalten entsprechend bereits außerhalb der Partei,“ hieß es in Nanterre. Diskutiert wird auf beiden Seiten eher darüber, wie sich die Parteimitglieder im Konfliktfall verhalten werden. „Der Protest ist landesweit“, sagt Pierre Juquin, „er umfaßt etwa ein Drittel der Parteimitglieder.“ Sicher ist, daß die interne Kritik an der Parteiführung erstmals in der Geschichte der KPF nicht nur von einigen Pariser Intellektuellen getragen wird, sondern in alle KP–Zellen des Landes vorgedrungen ist. Ob deshalb „mindestens 20.000, vielleicht 30.000 Parteimitglieder bereit sind, die Partei für eine neue politische Bewegung zu verlassen“, wie Juquin schätzt, ist mehr als fraglich. Gerade dort ist die Enttäuschung über Marchais zwar groß, die Treue zur Partei jedoch ausschlaggebender. Beunruhigender für die Partei erscheinen da die Ergebnisse einer Umfrage der Tageszeitung Le Monde, die am Wochende veröffentlicht wurde. Demnach stehen 55 Prozent der derzeitigen KPF– Wähler den Ideen der „Renovateurs“ nahe (23 Prozent lehnen sie ab), weitere 40 Prozent der KPF– Wähler sprechen sich gar für eine Präsidentschaftskandidatur Juquins aus. Im Zusammenhang mit anderen Umfragen zur Präsidentschaftswahl, nach denen man An dre Lajoinie gerade noch 5 Prozent der Stimmen einräumt, zeichnet sich damit für die KPF 1988 eine dramatische Entwicklung ab. Vom „historischen Niedergang der KPF“, der stärksten Partei im Nachkriegsfrankreich, die in den fünfziger Jahren als einzige politische Organisation den Durchbruch zur Massenpartei schaffte, ist schon viel geschrieben worden. „Der Niedergang unserer Partei verlangt mit größter Dringlichkeit nach der Entwicklung eines Alternativprojektes in völliger Transparenz und mit allen Interessierten“, sagte Juquin vor der „Nationalen Konferenz“. Zuvor war er wochenlang durch die französische Provinz gereist und hatte unter großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in Veranstaltungen mit Atomkraftgegnern, Umweltschützern, französischen Grünen und sympathisierenden Kommunisten für eine „neue linke Sammlungsbewegung“ geworben. Die Aktivitäten Pierre Juquins bereiteten offenbar Georges Marchais solche Sorgen, daß er noch am Sonnabend von der „Nationa len Konferenz“ verlangte, „eine Frage betreffend Pierre Juquin zu klären“. Marchais betonte, daß „Juquin durch sein Verhalten eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen möglich erscheinen lasse“. Auf Befehl Marchais sprachen sich daraufhin die Delegierten - erneut einstimmig - gegen die Kandidatur Juquins aus.