Aktive Reformpolitik

Wenn es einen roten Faden gegeben hat, der sich gleichermaßen durch die Reden von Willy Brandt, Johannes Rau und Hans–Jochen Vogel zog, dann war es die Wiederbelebung der sozialdemokratischen Reformidee. Zwischen „schwarzen und grünen Fundamentalisten“ will Rau die SPD agieren sehen, bereit und entschlossen zur Reformpolitik, die die „Bereitschaft und die Fähigkeit zum Kompromiß voraussetzt“. Vogel will verhindern, daß sich die Partei in die Reihen der „Weiter–so–Besessenen oder in das Lager derer einreiht, die nur protestieren, aber nichts verändern“. Brandt sprach vom „überbordenden fundamentalistischen Unsinn“ und sagte, die Zeit sei reif, wieder „die Pflöcke der demokratischen und sozialen Reform wiederum ein gutes Stück weiter vorn ein(zu)schlagen“. Das wichtigste ist für Rau, „daß wir die Menschen wieder gewinnen für die Politik der Reformen“. „Reformpolitik“, das war der nach 13 Regierungsjahren verlorengegangene Begriff, den die Sozis am Sonntag unisono wieder zu reaktivieren trachteten. Nach der Hamburg–Wahl sind sie guten Mutes, verlorengegangenes, reformorientiertes Wählerpotential zurückgewinnen zu können. Daß die sozialdemokratische Epoche sich möglicherweise dem Ende zuneigt, diese These wurde schroff zurückgewiesen. Für Johannes Rau steht fest, daß die Nürnberger Beschlüsse „eine Mehrheit in unserem Land“ haben. Daß daraus am Wahltag keine Mehrheit wurde, liegt für ihn vor allem an der Partei selbst, an der Art, wie sie diskutiert, an der mangelnden „Bodenhaftung“. Auch wenn es es nicht sagte, im Zweifel sieht Rau in manchen SPD–Anträgen das Hindernis, nicht im begrenzten Horizont des Wahlvolkes. „Bodenhaftung“ also eher gemeint als eine Orientierung am aktuellen Bewußtseinsstand der Wähler. Hier setzte Willy Brandt eindeutig andere Akzente: Was die Leute hören wollten, könnte nicht Maßstab sozialdemokratischer Programmatik sein. Nicht mit dem Strom zu schwimmen müsse bei Wahlen gleichwohl nicht für einen Erfolg abträglich sein. Brandt: „Die Zeiten des mündigen Bürgers sind nicht vorbei. Jedenfalls kommen sie wieder. Trotz reaktionärer Denkfaulheiten. Trotz der Starallüren solcher, denen das Bohren dicker Bretter zu langweilig ist oder zu mühsam.“ Ende der sozialdemokratischen Epoche? Dazu Brandt: „An welche Jahrzehnte haben sich wohl diejenigen Zeitgenossen erinnert, die meinten, das sozialdemokratische Jahrhundert sei vorbei. Haben sie die beiden Weltkriege, Faschismus und Stalinismus ausgeblendet, die großen Wirtschaftskrisen und die neuen existentiellen Bedrohungen? Nein, die Epoche der sozialen Demokratie muß erst noch kommen, falls und damit es ein Überleben der Menschheit gibt.“ In seinem Sinne heißt es dann auch in der zentralen Erklärung des Parteitages: „Während die Bundesregierung sich im bequemen Weiter–so, eine Fundamentalopposition sich in der Empörung darüber erschöpft, wollen wir unsere Reformpolitik präzisieren und, wo wir die Macht dazu haben, realisieren.“ J.S.