Babylonische Diskussion über Grundeinkommen

■ Europäische Grüne und Linkssozialisten: Wer denkt wie über das neue Instrument der Einkommenssicherung / Tagung in Brüssel / Marxistische Visionen über Bord

Aus Brüssel Michael Opielka

Was ist ein „garantiertes Grundeinkommen“? Ein unbedingter und voraussetzungsloser Rechtstitel jedes/r einzelnen an den Staat für den Bezug einer regelmäßigen, das Existenzminimum sichernden Transferleistung. Oder einfacher: „Wer nicht arbeitet, soll trotzdem essen“ (Claus Offe). Gegen die allgemeine Verunsicherung zum Thema Grundeinkommen organisierte die grüne Regenbogenfraktion im Europäischen Parlament am 11./12. Juni in Brüssel ein erstes internationales sozialpolitisches Treffen. Vertreten waren alle grünen (und die in der „Regenbogenfraktion“ repräsentierten linkssozialistischen und radikalen) Parteien Europas, bis auf die Portugiesen und Griechen. Verständigungsprobleme bereitete die Vielfalt der vorfindlichen sozialen Sicherungssysteme. So existiert in den Niederlanden eine (immer noch) relativ liberale Sozialhilferegelung, die einem Grundeinkommen schon recht nahe kommt - während es in Italien national nicht einmal die Sozialhilfe gibt. Während in den Niederlanden das Thema „Grundeinkommen“ öffentlich geläufig, Tagesordnung auf den Parteitagen aller Parteien ist (bei der „Partei der Arbeit“ (PvdA), den Sozialdemokraten, immerhin mit 40 verstanden die grünen bzw. linkssozialistischen Abgesandten aus Italien oder Spanien erst gar nicht, was ein „Grundeinkommen“ meint. Dieses „Unverständnis“ kann auch ganz anders, politisch–ideologisch handfester begründet werden: als Kontroverse um die Zu kunft sozialistischer Gesellschaftstheorie. Stellt die - heute im wesentlichen von links erhobene - Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen doch die traditionelle marxistische Vision einer „Befreiung der Arbeit“ in Frage, zu deren Zweck erst einmal der größtmögliche Teil der Bevölkerung verlohnarbeitert gehört. Der Linken, die sich der Grundeinkommensforderung anschließt, sind Zweifel an der proletarischen Verallgemeinerung gekommen. Andre Gorz (“Abschied vom Proletariat“, „Wege ins Paradies“) gilt so als einer der geistigen Väter der Grundeinkommensidee, ebenso wie Claus Offe, der grüne Post–Marxist. Philippe van Parijs (ECOLO, Belgien) vertrat in Brüssel die These, ein garantiertes Grundeinkommen sei das Medium für einen „kapitalistischen Weg zum Kom munismus“. Das universell verteilte, an keinerlei Vorleistungen geknüpfte Grundeinkommen erfülle jene logische Bedingung, mit der Karl Marx (in der „Kritik des Gothaer Programms“) eine kommunistische Ordnung gekommen sah, zu einem Gutteil: „Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Erhellend war die Internationalität der Runde in Sachen Arbeitszeitverkürzung. Der schwedischen „Miljöpartiet“ erschien das Thema Arbeitslosigkeit - angesichts einer (offiziellen) Arbeitslosigkeit von (nur) 2,1 zur Mobilisierung für ein Grundeinkommen geeignet. Der Abgeordnete der baskischen „Euskadiko Ezquerra“ erkannte hingegen trotz hoher Arbeitslosigkeit in Spanien deshalb keinerlei Mobilisierungsmöglichkeit für eine Arbeitszeitverkürzung, weil die linke Intelligenz (noch immer) in Loyalität zur sozialistischen Regierung und deren Modernisierungs–/Wachstumskurs erstarrt. Im Mittelbau Europas ist Arbeitszeitverkürzung demgegenüber ein politisches Thema. Helmut Wiesenthal (Ex–Bundesvorstand der Grünen) bestritt freilich, eine Arbeitszeitverkürzung sei ein Universalinstrument zur „gerechten“ Umverteilung der Arbeit auf alle. Er betonte auch das technische Problem der Aufteilung von Arbeitskraft angesichts der (zunehmenden) 24–Stunden–Produktion wie der gesellschaftlichen Kosten, die mit der damit verbundenen Brachlegung hochqualifizierter Arbeitskraft einhergingen, sollte eine derart verkürzte Arbeitszeit tatsächlich für alle gelten. Gegenüber soziologisch geschulter Skepsis argumentierten (nicht nur) die schwedischen Grünen mit der Notwendigkeit einer moralisch–kulturellen Veränderung: die alleinige Bewertung bezahlter Arbeit fixiere eine materielle Kultur. Wenn in Schweden 150mal so viel konsumiert werde wie in Indien und der Durchschnittsschwede zwei Arbeitstage pro Woche für sein Auto opfert, käme es den Grünen zu, sich für die Qualität der Zeit einzusetzen. Der Vorschlag aus der englischen „Green Party“, die die Forderung nach einem Grundeinkommen bereits seit 1979 in ihrem Programm verankert hat, ein „low– cost–basic–income“ als ersten Schritt in Form einer Steuerbegünstigung pro Beschäftigten über die Arbeitgeber zu zahlen und diese mittels Lohnsubvention zur Einstellung weiterer Arbeitskräfte anzureizen, fand kaum Zu spruch - auch wenn das Ansinnen verständlich schien, unter konservativer Herrschaft mit Vorschlägen zu reüssieren, die nicht ganz ohne Realisierungschancen sind. Zur Strategie Daß man das Mißverständnis vermeiden solle, die Adressaten eines Grundeinkommens seien eine geschlossene Gruppe, die lebenslang allein auf ein Grundeinkommen angewiesen bleibe, betonte Helmut Wiesenthal. Es ginge vielmehr darum, soziale, räumliche und geschlechtliche Mobilität zu ermöglichen, neue Formen der Erwerbsbiographie, die eher dem weiblichen Muster angenähert seien. Wiesenthal sah zwei grundverschiedene Wege, ein Grundeinkommen einzuführen: einen gradualistischen Weg, ein Kompromiß auf Geldebene, die scheibchenweise Grundeinkommensgarantie, die vor allem von den holländischen Grünen favorisiert wird. Die Gefahr: Das Grundeinkommen verkommt zur Lohnsubvention im Interesse der Arbeitgeber. Der zweite Weg sei eine gruppenbezogene Einführung: so können bestimmte gesellschaftlich nützliche, jedoch nicht/kaum in Lohnarbeit überführbare Tätigkeiten mit einem Grundeinkommensanspruch ausgestattet werden, von der Kindererziehung, der Behinderten–/Altenpflege bis zur Mitarbeit in sozialen Initiativen. Vor allem für die Holländer, aber auch die bundesdeutschen Grünen war die Unterscheidung wichtig, ob die Finanzierung des Grundeinkommens über die Einkommenssteuer - damit in jedem (gefüllten) Geldbeutel sichtbar - erfolge oder über eine indirekte, vor allem eine produktionsbezogene Steuer (Wertschöpfungssteuer). Letzteres ließe sich auch dadurch rechtfertigen, daß der gesellschaftliche Reichtum nicht nur Produkt der 40 bis 50 gleichermaßen auf natürlichen, allen zustehenden Ressourcen, der unbezahlten Hausarbeit. Die irischen Grünen, die sich in ihrer festen Position pro Grundeinkommen auf die Grundeinkommensforderung einiger irischer Gewerkschaften berufen können, betrachteten - im Unterschied zu den Italienern oder Spaniern - die niedrige Sozialleistungsquote ihres Landes dabei nicht als Hindernis für ein Grundeinkommen. Man könne die beachtlichen EG–Agrarsubventionen auch zur Subventionierung eines nationalen Grundeinkommens verwenden. Die Überlegung einer Umstrukturierung des gemeinsamen EG–Agrarmarktes hin zu einer EG–Sozialunion wurde im übrigen mehrheitlich als sinnvoller Denkansatz betrachtet. Der Rest dachte in langfristigen Kategorien: die Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen könnte, so die mehrheitliche Überzeugung, ein wesentliches Element einer „grünen“ Gesellschaftspolitik ausmachen. Abkehr von der produktivistischen Logik des industriellen Kapitalismus, die Freiheit des Einzelnen, vor allem die soziale Freiheit der Frau im Zentrum. Die Hoffnung auf eine neue Allianz der sozial Ausgegrenzten mit den Glücklicheren, denen zum ganzen Glück fehlt, aussteigen zu können - wenn auch auf Zeit. Michael Opielka war sozialpolitischer Mitarbeiter der Grünen–Bundestagsfraktion und ist jetzt freier Journalist.