I N T E R V I E W „Solidarität ist aktuell wichtig“

■ Gespräch mit zwei chilenischen Oppositionellen, die sich in der BRD befinden / „Wenn die 15 sterben, werden weitere hingerichtet werden“

Der 37jährige Sportlehrer Juan Osses und der 38jährige Elektriker Miguel Contreras sind zwei von sechs Chilenen, die seit dem 1. Juni in Hamburg leben, nachdem der Senat der Hansestadt in Santiago ein Ausreisevisum für sie durchsetzen konnte. Die Militärdiktatur beschuldigte sie, in Quintero bei Valparaiso eine „Guerillaschule“ aufgebaut zu haben. taz: Wie kam es zu eurer Ausreise? Unter dem Vorwurf, in Quintero Guerillas ausgebildet zu haben, sind wir im Februar 1985 verhaftet worden. Wir sind Mitglieder der „Sozialistischen Partei Chile Salvador Allende“. Einer von uns, Carlos Godoy, ist bereits zwei Tage danach an den Folgen der Folter gestorben. Seine Folterer haben schon zuvor drei Mitglieder von der kommunistischen Partei mit einem Schnitt durch die Gurgel ermordet. Sie wurden angeklagt und freigesprochen. Zwei von uns wurden später freigesprochen, und bei uns restlichen zehn entschied im April 1987 ein Zivilgericht in Valparaiso, daß wir vorläufig freigelassen werden, weil es an Beweisen mangelte, daß wir „Terroristen im Sinne des Terroristengesetzes“ seien. Die Regierung von Hamburg hat uns von Anfang an die Aufnahme angeboten. Aber auch in unserem Fall hatte Innenminister Zimmermann zuerst „Sicherheitsbedenken“. Hamburg insistierte jedoch auf unsere Freilassung, aber auch die hiesige Solidaritätsbewegung hat sehr viel für uns getan. Unser Fall zeigt, daß es möglich ist, Leute aus den Kerkern Chiles freizubekommen, und deswegen ist die Solidarität in der Bundesrepublik auch aktuell so wichtig. Warum sprecht ihr von 15 Todeskandidaten, nicht von 14? In der letzten Woche kam ein Genosse von der „Patriotischen Front Manuel Rodriguez“ ebenfalls auf die Todesliste. Leider kennen wir seinen Namen noch nicht. Ihr habt euch auch auf dem Evangelischen Kirchentag in Frankfurt sehr für die 15 eingesetzt. Ja, wir haben dort 4.000 Unterschriften gesammelt. Sie zeigen, daß die deutsche Bevölkerung gegen die Todesstrafe ist. Wir hoffen und glauben, daß sich die politischen Parteien dem anschließen. Kirchliche und gesellschaftliche Vereinigungen sollten so viel Briefe und Karten wie möglich an Pinochet und an das Justiz– und Innenministerium in Chile schicken. Die Leute glauben, das sei nicht so wichtig, aber wir wissen aus eigener Erfahrung, daß es die Diktatur beeindruckt, wenn Briefe aus aller Welt ankommen, die den Gefangenen zeigen, daß sie nicht allein sind, und der Militärregierung zeigen, daß eine Hinrichtung internationale Empörung hervorrufen würde. Stimmt die Einschätzung, daß schon ein deutsches Visaangebot die Leute schützt, auch wenn sie nicht freikommen sollten? Ja, die Bundesrepublik ist ein wichtiges Land, die Diktatur kann die bundesdeutsche Meinung nicht ignorieren. Auf der anderen Seite würde die Hinrichtung der 15 die Hinrichtung von weiteren 30, 40 Leuten nach sich ziehen. Sie wäre das grüne Licht für die Todesstrafe in Chile. Das Interview führte Ute Scheub