Stilvolle Festnahme von Kunzelmann

■ Ehemaliger AL–Abgeordneter Dieter Kunzelmann wurde nach Ringkampf mit dem Regiermeister Diepgen im Schöneberger Rathaus festgenommen / Der Ex–Kommunarde wurde seit Mai per Haftbefehl gesucht

Aus Berlin Gerd Nowakowski

Dutzende von Zivilpolizisten umlauerten am 2. Juni 87 eine unschuldige Telefonzelle an der Deutschen Oper, während einige Meter weiter Tausende von Menschen des 20. Todestags von Benno Ohnesorg gedachten. Der, der sein Erscheinen angekündigt hatte, aber kam nicht und konnte feixend den Erfolg seines Gerüchts registrieren. Gestern nun hatte die Polizei endlich Erfolg: Das per Haftbefehl gesuchte Ex– Kommune–1–Mitglied, der ehemalige AL–Abgeordnete Dieter Kunzelmann wurde festgenommen - stilvoll im Rathaus Schöneberg. Getarnt mit einer Perücke über der stadtbekannten Dreiviertel– Glatze hatte sich Dieter Kunzelmann gestern in eine Feierstunde für den schwedischen Ministerpräsidenten Carlsson gemogelt. Noch bevor Carlsson sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen konnte, war schon ein anderer da: Lauthals protestierte Kunzelmann mit seinem unverwechselbar knarrrenden Fränkisch gegen den Ausnahmezustand und die Absperrung des Bezirks Kreuzberg während des Besuchs des US– Präsidenten Reagan vor vierzehn Tagen. Völlig verblüfft registrierte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, schon oft geplagter Kontrahent des ehe maligen Abgeordneten, den ungeplanten Programmwechsel. Bei einem nachfolgenden Ringkampf mit dem Regierenden Bürgermeister und Sicherheitskräften ging Kunzelmann zu Boden. Kunzelmann war seit Anfang Mai per Haftbefehl gesucht worden, nachdem er sich geweigert hatte, an einem Prozeß wegen Verunglimpfung des Staats weiter teilzunehmen. Kunzelmann und drei Redakteure des Berliner Lokalteils der taz stehen wegen eines Interviews zum Bauskandal vor Gericht; darin hatte Kunzelmann den Senat als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet und auf die Verbindungen von Bürgermeistern, Stadträten, Senatoren und Staatssekretäten zu Kriminellen hingewiesen. Das taz–Interview wurde im März 1986 wenige Tage vor den Rücktritten von drei Senatoren geführt; inzwischen sind mehrere prominente CDU–Politiker wie der Tiergartener Bürgermeister Quell verurteilt oder wie der Staatssekretär Schackow in Haft. Das Gericht hatte dennoch den Antrag abgelehnt, zwecks Nachweis der im Interview erhobenen Vorwürfe die Politiker zu laden und die Akten von Staatsanwaltschaft und parlamentarischem Untersuchungsausschuß hinzuzuziehen. Weil dadurch eine Verteidigung unmöglich gemacht werde, hatte Kunzelmann das Gericht verlassen und war untergetaucht.