Der Staatsanwalt hat das Wort im Barbie–Prozeß

■ Oberstaatsanwalt Truche versucht, den Barbie–Verteidigern mit seiner Argumentation zuvorzukommen / Das Urteil wird für Freitag erwartet

Aus Lyon Lothar Baier

Trotz Sommerhitze hat sich vor dem Justizpalast in Lyon eine Besucherschlange gebildet, und die Pressestühle sind bis auf den letzten Platz besetzt, nachdem in der Woche davor viele Beobachter vor der Strapaze kapituliert hatten, 39 Anwälte der Nebenklage anhören zu müssen. Oberstaatsanwalt Pierre Truche versucht, die Fragen, die von der Verteidigerbank ausgehen könnten, vorweg zu beantworten. „Wie kommt es, daß man erst jetzt einen findet, den man aufgrund eines Gesetzes von 1945 anklagen kann?“ fragt der Ankläger. Seine Antwort schließt eine Kritik der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ein. Der Begriff des Verbrechens gegen die Menschlichkeit habe sich verflüchtigt, weil die Nürnberger Richter ihm in ihrem Urteil keinen nennenswerten Platz eingeräumt hatten. Truche erinnerte daran, daß die Vorgesetzten Barbies, SS–General Oberg und SS–Oberst Knochen, nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden waren, obwohl die entsprechende Bestimmung des alliierten Abkommens von 1945 auch für Frankreich galt. Das Gesetz von 1964, aufgrund dessen Barbie vor Gericht steht, sei aus „pädagogischen Gründen“ beschlossen worden, habe aber keine neue Rechtslage geschaffen. Mit diesem Argument wehrt die Anklage den Vorwurf der Verteidigung ab, daß Frankreich die Unverjährbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erst anerkannt habe, nachdem es die eigenen in Algerien begangenen Verbrechen amnestiert hatte. Zudem gibt der Ankläger zu erkennen, daß er seine Kritik an der Ausweitung der Anklage auf Verbrechen gegen die Resistance nicht aufgegeben hat: Der Gesetzgeber wird aufgefordert, die rechtlichen Unklarheiten zu beseitigen. Truche setzt sein Plädoyer heute fort. Das Urteil wird für Freitag erwartet.