Ein Garten Eden in der Wüste Arizonas

■ Amerikas kühnstes Architekturexperiment „Arcosanti“ vereint Architektur und Ökologie / Mit mehreren tausend Helfern baut Paolo Soleri an seiner „Stadt von morgen“ / Skeptiker sagen dem Projekt ein Ende als Geister–Stadt voraus

Aus Phoenix Peter Gillhofer

Bob, der wuschelhaarige Amerikaner, ist zum ersten Mal in seinem 32jährigen Leben so ganz mit sich und der Welt zufrieden. „Hier weiß ich wirklich, wofür ich arbeite“, sagt er, „ich spüre, ich tue etwas Wertvolles und fühle mich aufgehoben dabei.“ Bei seinen Worten hat Bob sich umgedreht. Sein Blick geht hinaus in die Ferne. Soweit das Auge reicht nur flimmernde Öde, ein paar staubige Kakteen, kahle Felsen, Trockenheit, die die Haut ausdörrt. Nur ein Asket kann sich hier wohlfühlen, denke ich unwillkürlich. Bobs persönlicher Garten Eden liegt mitten in der Wüste Arizonas. 100 Kilometer von Phoenix entfernt, in einer Gegend, wo sich Kojoten und Stinktiere „Gute Nacht“ sagen. Der Ort der Unwirklichkeit hat auch einen Namen: Arcosanti. Und eben dort in diesem gottverlassenen amerikanischen Niemandsland soll die Zukunft der Menschheit erblühen. „The City of Tomorrow“ - die Stadt von morgen. Paolo Soleri, italo–amerikanischer Architekt, Theologe, Philosoph und Visionär in einem, hat sich vor 16 Jahren darangemacht, eine Idee Stein für Stein in die Wirklichkeit umzusetzen. Der heute 67jährige wollte nie einsehen, daß sich Mensch und Natur als Feinde gegenüberstehen müssen, daß Städtebau gleichzusetzen sei mit Zerstörung und Raubbau an der Umwelt. So setzte sich Soleri ans Reißbrett und konzipierte Arcosanti, die erste Stadt der Welt mit totaler Sonnenenergieversorgung, ohne Autos, ohne Straßen, mit Grünhäusern zur Selbstversorgung von 5.000 Einwohnern. Ein Monumentalexperiment der friedlichen Koexistenz von Architektur und Ökologie - und das noch bewohnbar von ganz normalen, modernen Menschen. „Als Städtearchitektur ist Arcosanti wahrscheinlich das wichtigste Experiment unserer Zeit“, begeisterte sich das US– Magazin Newsweek. Die Fachwelt zollte ihr gebührendes Lob, ein paar Umweltschützer feierten den Turiner Zukunftsbastler als Grün–Baumeister. Soleri war schließlich längst kein Unbekannter mehr. So wie andere Architekten Häuser und Fabrikgebäude entwerfen, plante der kleine Italiener seit je gleich ganze Städte - inklusive den dazugehörigen Gesellschaften. Asteromo, eine Weltraumsiedlung, Novanoah, ein Unterseedorf, und Veladiga, ein Städtchen, das gleichzeitig als Damm diente, waren bis dahin Soleris Modellphantasien, mit denen der Schüler des legendären Häuslebauers Frank Lloyd Wright regelmäßig den Beifall seiner Zunft einheimste. Alles wäre auch weiter so in Ordnung gewesen, hätte Soleri sich nicht in den Kopf gesetzt, mit Arcosanti einen seiner Träume unbedingt in Beton gießen zu wollen. Als „Spinner“ und „Tagträumer“ nannten ihn seine Kritiker jetzt, „unbeleckt vom Sinn fürs Praktische“, wie es ein Kollege der Universität Delawae formulierte. Soleri ließ sich nicht beirren. Wochenlang berechnete er den jahreszeitlich unterschiedlichen Sonneneinfall am Standort in der Wüste, der für die Konstruktion des 25stöckigen Hauptgebäudes von größter Bedeutung sein sollte. Er studierte die Bauweise der Anasazi–Indianer, die ihre Höhlenwohnungen so anlegten, daß sie die tiefstehende Wintersonne wärmte, während sie sommers im kühlen Schatten lagen. Den Bienen schaute Soleri das Bausystem ihrer Waben ab. Im Gegensatz zu den meisten amerikanischen Städten sollen hier eine große Anzahl Arcosantiner auf engstem Raum leben können: 70 Einwohner auf 1.000 Quadratmeter. Zum Vergleich: In New York beanspruchen zehn Menschen denselben Platz, selbst im dichtgedrängten Delhi sind es nur zwanzig. Der Weg in die Wohnungen führt über Aufzüge, der zu den nahen Arbeitsstellen über Rollsteige, alles solarbetrieben, versteht sich. Das Auto ist überflüssig, weil nichts weiter als 20 Minuten Fußweg entfernt ist. Soweit Soleris ausgetüftelte Fiktion, die sich noch in Tausende weiterer Strukturdetails verästelt. Dem sturen Baumeister gelang es auch tatsächlich, Geldgeber für sein Utopia im amerikanischen Hinterland zu finden. Rund eineinhalb Millionen Dollar sind inzwischen in den Wüstensand gesetzt. 3.500 meist jugendliche Anhänger des geflüchteten Stadtneurotikers zahlten je 350 Dollar, um vier Wochen lang bei 35 Grad im Schatten Beton für die Zukunft rühren zu dürfen. Und doch stehen inzwischen erst drei Prozent der geplanten Bausubstanz, nicht mehr als eine Handvoll geometrisch–verwinkelter Gebäude, bizarre Monolithen im Sonnenlicht. In ihnen leben Menschen wie Bob, die im zukunftsweisenden Arcosanti gegenwärtige Zufriedenheit gefunden haben. 50 an der Zahl, die meisten von ihnen so in den 30ern, bilden den harten Kern des Bautrupps. Soleri hat es nicht leicht, ständige Mitbauer zu Mindestlöhnen zu finden. Eine komplexe Weltschau, die sich von weltlichen Verzichtsgedanken über die menschliche Vergeistigung bis hin zur göttlichen Vereinigung mit dem Universum spannt, schreckte manch wackeren Bauhelfer ab. „Soleri würde am liebsten lauter Mönche um sich herum haben“, maulte eine junge Hilfswillige. Der Meister selbst streitet solche Überbau–Pläne nicht ab, hat sich indes zwischenzeitlich mit der spirituellen Erdgeschoßmentalität seiner Adlaten abgefunden. Die philosophischen Abstraktionen, die mit den Mauern von Arcosanti zum Himmel steigen sollten, opferte Soleri erst einmal dem irdischen Fortschritt. „Es ist nicht so, daß ich das aufgegeben habe“, erklärt er, „aber jetzt ist wichtig, daß Arcosanti überlebt.“ Und wann wird die Stadt nun fertiggebaut sein? „Die Zukunft ist niemals fertig“, weicht Ed Blair, einer der Projektmanager, aus. 20 Jahre oder 200, solch kurzsichtige Dimensionen spielen bei Arcosantis Vordenkern keine Rolle. Sie ficht auch der Zynismus der Kritiker nicht an, die der Stadt der Zukunft eine baldige Bereicherung der Ghost–Town–Szene von Arizona voraussagen.