EG - Nein Danke

Man wird auf einiges gefaßt sein müssen in der EG der kommenden Jahre - jedenfalls auf nichts Gutes, und dies vor allem dann nicht, wenn es den Eurokraten wider Erwarten gelingt, ihre Integration zu einem gemeinsamen Binnenmarkt voranzutreiben. Dabei fragt man sich, was für eine Magie der europäische Gedanke ausübt, daß Linke - wenn sie das Thema überhaupt aufgreifen - hier lediglich andere Nuancen setzen (“Europa von unten“) anstatt angesichts drohender sozialer, ökonomischer und ökologischer Katastrophen erstmal Fundamentalopposition gegen jedwede weitere ökonomische Integration zu betreiben. Der Gemeinsame Markt, wird er denn bis 1992 wie geplant verwirklicht, soll nach Meinung der Wirtschaftsforscher einen gewaltigen Wachstumsschub einbringen. Von diesem Wachstumskuchen, der durch erleichterten, grenzüberschreitenden Handel zustandekommen soll, wird sich die Exportnation Nr. 1, die Bundesrepublik, das größte Stück abschneiden wollen. 60 Prozent der BRD–Ausfuhr geht in die EG– Partnerländer. Jeder sechste Arbeitsplatz ist abhängig vom Wohl und Wehe des innergemeinschaftlichen Handels. Zum zweiten stärkt der gemeinsame Markt um die Bundesrepublik herum auch die Kraft für die sich verschärfenden internationalen Handelsauseinandersetzungen mit den anderen Wirtschaftsblöcken Japan und USA, ein wichtiger Aspekt der Interessenwahrung der bundesdeutschen Exportwirtschaft. Die Eurokraten hierzulande werden also insgesamt dazu bereit sein, dafür einiges auf den Tisch zu legen. Der Bauer wird geopfert Einen Bereich gibt es, in dem die Partnerländer besonders dankbar für bundesdeutsche Opfergaben sein werden: Ohne dramatische Einschnitte im Agrarbereich wird „Europa“ nicht zu halten sein, und dann wäre für die bundesdeutsche Wirtschaft der Traum des Wachstumsschubes aus. Die Landwirtschaft wird daher das letzte sein, was dem „herrschenden Gesamtinteresse“ im Lande Lothar Späths und des Volkswagens am Herzen liegt. Noch fürchtet die Bundesregierung um das Bauernwahlvolk. Geht aber in den nächsten Jahren - wie offiziell prognostiziert wird - die Hälfte der bäuerlichen Familienbetriebe über die Wupper, so kann man sich leicht ausrechnen, wie groß die Stimmviehherden sein werden, um die sich Agrarminister Kiechle dann noch kümmern muß, wenn dem Volk an Rhein und Ruhr im Ausgleich für weniger BRD–Landwirtschaft höhere Export–Stahlquoten versprochen werden können. Der Streit um den Grenzausgleich ist ein noch leises aber deutliches Signal für derlei Umschichtungen. Die EG weigert sich in ihrer eigenen Logik nicht ohne Berechtigung, dem bundesdeutschen Agrarbereich Kompensation für Einkommensverluste zu gewähren, die er aufgrund der Gesamtstärke der BRD–Wirtschaft erleidet, nämlich durch die DM– Aufwertungen. Schließlich sind die DM–Aufwertungen in der bundesdeutschen Exportstärke begründet, die aus der bereits vollzogenen EG–Integration gewonnen wurde. Die Exportnation drängt so zwangsläufig ihren Agrarbereich außer Landes. Das ist nichts anderes als die Befolgung des Gesetzes der „Komparativen Kosten“ Ricardos, das seit dem letzten Jahrhundert jeder Volkswirtschaftsstudent erlernt: Wein aus Portugal gegen Tuch aus England - so läuft die optimale Weltwirtschaft. Ergebnis war jedoch die Verödung der britischen Landwirtschaft und die Tatsache, daß Portugal jetzt zu den unterindustrialisierten Südländern der EG gehört. Wir sollten genau hinhören, was uns derzeit als Zukunft des bundesdeutschen ländlichen Raumes angeboten wird: Unter „Beitrag zum Umweltschutz“ läuft der Vorschlag, Flächen stillzulegen und in Naturparks zu überführen, unter „Nachwachsende Rohstoffe“ die Okkupation der Agrarflächen durch die verarbeitende Industrie. Textilfasern oder zu Treibstoff verarbeitbare Pflanzen stehen an, deren Produktion nur in großflächigem Maßstab ohne Rücksichten auf biologische Naturverträglichkeit lohnt. Aber auch diejenigen unter den fortschrittlichen Beobachtern, die hierin eine besondere Solidarität mit den südlichen EG–Ländern sehen - verbessert man doch so ihre Agrareinkünfte - sollten sehr vorsichtig sein. Das Ergebnis dürfte nicht nur die genormte EG– Tomate sein, deren Transport– und Lagerfähigkeit zum wichtigsten Qualitätskriterium avancieren wird. Euro–Norm und Nivellierung werden ohnehin die moderne Tuch–gegen–Wein–Gesellschaft Europas dominieren. In dieser Ratio wird auch die Entwicklung zur genormten Sprache liegen. Industrielle Monokulturen Viel entscheidender werden indes die immer schnellebigeren gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozesse auf dem Weg in die moderne Integration sein. Die absehbaren industriellen (auch agrarindustriellen) Monokulturen werden bisherige kleinere Berufsgruppen oder Industriestandorte verdrängen oder ganz zur Disposition stellen. Und wer meint, hinterher herrschten ideale ökonomische Modellzustände, wird sich getäuscht sehen. Was wurden seinerzeit nicht alles an scheinbar ökonomisch zwingenden Gründen dafür herangezogen, daß arbeitsintensive Branchen in die Billiglohnländer ziehen. Paradebeispiel: Textil (nachdem die Tuchproduktion in England offensichtlich unproduktiv geworden ist). Heute erleben wir, daß die Textilbetriebe in der „Dritten Welt“ wieder dichtgemacht werden, weil die vollautomatische Produktion hierzulande billiger ist. Die sozialen und ökonomischen Friktionen, die das Hire and Fire hervorriefen, sind dem Kapital naturgemäß gleichgültig. In seinem Jargon heißt das Mobilität, und das ist das einzige, was zählt. Die Mobilität dürfte im gemeinsamen 2,8–Prozent–Wachstumsmarkt einen gewaltigen Schub erfahren. Gemeinsamer Markt bedeutet eben freie Fahrt für freie Wirtschaft und keine gemeinsame planvolle Ökonomie vermittels einer zentralen EG– Verwaltung oder -Regierung. Da dies aber nach den bisherigen Erfahrungen beileibe auch keine erfreuliche Alternative wäre, sollten Kritiker der EG–Entwicklung bei allen eigenen, schön klingenden Planspielen den Mut aufbringen, zunächst einmal Nein zu größerer Wirtschaftsintegration, zum gemeinsamen Markt zu sagen. Die zwanghafte Suche nach solidarisch und wohlklingenden Alternativen ohne Realitätsbezug sollte nicht den Weg verstellen für eine notwendige Verweigerungshaltung. Ulli Kulke