Rote Fahnen für Weizsäcker

■ Der Bundespräsident traf zusammen mit Genscher zu einem sechstägigen Besuch in Moskau ein Ein Marx–Zitat zum Warmwerden / Statt Reagans Reich des Bösen: ein einziger europäischer Kulturraum

Von Klaus Hartung

Berlin (taz) -Zwei Zitate hat Bundespräsident von Weizsäcker zu Beginn seines sechstägigen Staatsbesuches in der Sowjetunion als rhetorisches Gastgeschenk überreicht. Er war am Montag in Begleitung von Außenminister Genscher in Moskau eingetroffen. Auf dem Flughafen rote Fahnen und Transparente mit dem Spruch: „Herzlich Willkommen, Herr Bundespräsident.“ Bei seiner ersten Moskauer Tischrede versuchte er dann, die künftige Politik zwischen der Sowjetunion und der BRD in der gemeinsamen Verpflichtung der europäischen Aufklärung zu gründen: „Kein Mensch“, so zitierte von Weizsäcker den jungen Marx, „bekämpft die Freiheit; er bekämpft höchstens die Freiheit des anderen.“ Und er erinnerte an Kant, der in der Schrift „Zum ewigen Frieden“ der Schlußakte von Helsinki vorgegriffen habe, indem er den Völkern das gegenseitige „Besuchsrecht“ empfahl. In diesem Zusammenhang betonte von Weizsäcker, daß Sicherheitsdenken und die Sprache der Abschrec kung nicht das sein dürften, „worin man sich in Ost und West am besten versteht“. Da der Staatsbesuch mit hohen politischen Ansprüchen und Erwartungen besetzt ist, kam der ersten Rede des Bundespräsidenten Bedeutung zu. Erwartet wurden ostpolitische Initiativen, Korrektur der politischen Sprachlosigkeit zwischen Kohls Regierung und der Sowjetunion (angesichts der Goebbels–Vergleiche des Kanzlers); erwartet wurde auch eine Position zum Zusammenhang von „Glasnost“ und Abrüstungspolitik. Unter diesem Gesichspunkt hat sich von Weizsäcker indirekt aber deutlich von Reaganschen Formulierungen distanziert, in denen es um den „apokalyptischen Endkampf zwischen Gut und Böse“ ging. Demgegenüber betonte der Präsident die Kultureinheit von Europa und auch die kulturelle Einheit der deutschen Nation. Von dort her gebe es ein tragendes Interesse an Verzicht auf Blockdenken, am Abbau der Spannungen und an Abrüstung. „Eine radikale und ausgewogene Verminderung der Rüstung auch bis tief in den konventionellen Be reich hinein ist das Gebot der Stunde.“ Gemessen an dem unmittelbar moralischen Anspruch an seinen Besuch blieb von Weizsäcker allerdings eher floskelhaft: Er be schwor die „schmerzliche Erinnerung an den unheilvollen letzten Krieg“, um dann unverzüglich auf „Tod, Zerstörung und Vertreibung aus der angestammten Heimat“ der Deutschen zu kommen. Daß er als deutscher Soldat in der Sowjetunion gekämpft habe, betonte er, ohne in einem Wort das Ausmaß des Völkermordes deutlich zu machen. Kommentar Seite 4