„Schlendrian“ bei den Chemie–Reinigern?

■ In Berlin trafen sich 200 Chemiereiniger zur Krisensitzung: „Daß det so erheblich ist mit dem Zeug, ham wir ja alle nich jewußt!“ / Ein verbindlicher Grenzwert für die Luftbelastung mit Perchlorethylen existiert in der Bundesrepublik nicht

Von Andreas Wertz

Berlin (taz) - Das „Logenhaus“ in Berlin–Wilmersdorf: Der Sitzungssaal dampft. 200 Berliner Textilreiniger haben sich zur Krisensitzung versammelt. An den Tischen wird heftig gemurmelt und geschwitzt. Die Klimaanlage hat versagt. Sieben Herren sitzen auf einen Podium, alle mit ernstem Gesicht und frischgebügeltem, weißem Hemd. „Daß det so erheblich ist, ham wir ja alle nich jewußt“, sagt der Obermeister Hans–Albert Heim und blickt bedrückt von der Bühne herab. Es geht um die Existenz chemischer Reinigungen in Berlin, und, wie sich noch zeigen wird, in der ganzen Bundesrepublik. Sie ist durch Perchlorethylen (PER) gefährdet, jenem flüssigen, fettlösenden Grundstoff der chemischen Reinigungen, der schon bei Raumtemperatur leicht verdunstet. Er kann dann mit der Luft in angrenzende Räume gelangen und sich dort - aufgrund seiner guten Fettlöslichkeit - in fetthaltigen Lebensmitteln anreichern. PER ist krebserregend, „mutmaßlich“, wie an jenem Abend ständig betont wird. Seit Wochen finden das Bundesgesundheitsamt (BGA) und die Gesundheitsämter der Stadt „erhebliche“ Mengen dieser Chemikalie in Speiseeis, Butter, Salami, Sahnetorte. In einem Fall wurden fast 20 Milligramm (mg) PER in einem Kilogramm Lebensmittel festgestellt, andere Belastungen lagen bei 1 mg/kg. Zum Vergleich: Die Trinkwasserverordnung schreibt 0,025 mg PER pro kg Wasser als Höchstgehalt im Jahresmittel vor. Ein rechtsverbindlicher Grenzwert für PER in Lebensmitteln existiert hingegen nicht. Berlin ist kein Einzelfall. Fündig wurde man z.B. auch in Baden–Württemberg, Rheinland–Pfalz und in Nordrhein–Westfalen, wo erste Untersuchungen schon im Dezember letzten Jahres stattfanden. In Bayern hingegen sieht sich die Staatsregierung bislang nicht genötigt, der möglichen Krebsgefahr nachzugehen. Die Alternative Liste Berlin forderte letzten Montag, 200 Reinigungen sofort zu schließen. Zur gleichen Zeit läuft im Umweltbundesamt (UBA) ein „informelles Gespräch“. Vertreten sind BGA und UBA, der Berliner Umweltsenator, der Deutsche Textilreinigungsverband (DTV) nebst Berliner Innung und die beiden deutschen Hersteller von Reinigungs maschinen, BÖWE und SECCO. Hier erfahren die „Chemisch–Reiniger“ (so ihr Eigenname), daß der Umweltsenator die Umgebung aller Reinigungsbetriebe auf den PER–Gehalt der Luft hin untersuchen lassen will. Für den Fall, daß die Werte in den Wohnungen zu hoch sind, droht er Auflagen an, bis hin zur Betriebsschließung. „Zu hoch“ heißt bei den krisengeschüttelten Reinigern im Logenhaus: über 5 ppm (das sind fünf Teile PER auf eine Million Teile Luft), vielleicht auch nur: mehr als 1 ppm. Der erste Wert entstammt einer Richtlinie aus dem Jahr 1966, den zweiten empfiehlt seit einem Jahr die Weltgesundheitsorganisation. Auch für die Luftbelastung gibt es keinen gesetzlichen Grenzwert. Die Textil–Reiniger sind durch diese Zahlen stark verunsichert. Sie kennen bisher nur zehnmal höhere Werte, die die PER–Konzentration in ihren Arbeitsräumen (50 ppm) und in der Abluft (30 ppm) begrenzen. 1 ppm können sie nicht riechen, nicht selber messen, 1 ppm ist folglich nichts. Allerdings hat schon halbsoviel PER in der Luft gereicht, Berliner Butter ungenießbar zu machen, weil sich PER im Fett anreichert. Auf der Krisensitzung bemüht sich Hans Rösler, Präsident des DTV, seine Berliner Klientel zu beruhigen: „Jeder, der ordentlich arbeitet, kann die neuen Werte einhalten.“ Es sei nur „ein bißchen Fleißarbeit“ erforderlich. Im Gespräch mit der taz ist er später davon überzeugt, daß ein Drittel der Fälle, in denen bisher überhöhte PER–Werte gemessen wurden, auf dem „Schlendrian“ der Reinigungsbetreiber beruhen. Was Rösler mit „ordentlich arbeiten“ meint, erläutern die zwei Hersteller von Reinigungsanlagen. Ihre Maschinen seien nämlich so gut, daß gar kein PER entweichen müsse. Die Textil–Reiniger sind empört. Erstens stört sie der väterlich–joviale Ton vom Podium, „wie ein Vortrag für die zweite Klasse“, sagt einer nachher. Zweitens wüßten sie das sowieso schon, was die Hersteller ihnen an Handhabungstips geben, um den PER–Ausstoß zu vermindern. Und drittens: „Die Maschinen atmen“, was soviel heißt wie: Sie sind nicht ganz dicht. Diese Eigenschaft wiederum hat der Gesetzgeber den Reinigungsanlagen erst vor einem Jahr gestrichen. In einer neuen Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz sind „diffuse Quellen“ für PER nicht mehr vorgesehen. Immerhin empfehlen die Maschinenhersteller, die Reinigungsräume für alle Fälle kräftig zu ventilieren. Damit läßt sich die Frage, wie PER aus Reinigungen in angrenzende Räume gelangen kann, schon leicht beantworten: Luftdurchlässige Decken und Wände z.B., undichte Abzüge oder solche, deren Auslaß in der Nähe von häufig geöffneten Fenstern endet. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu wissen, was die rheinland–pfälzische Gewerbeaufsicht bereits 1986 herausfand, als sie 403 Reinigungen kontrollierte: Fast die Hälfte der Betriebe ließen mehr PER über den Abzug entweichen als zulässig. Und diese Zulässigkeit ist schon großzügig bemessen. Das Umweltbundesamt will jetzt in einem Forschungsvorhaben klären, ob der PER–Ausstoß in die direkte Umgebung technisch überhaupt zu vermeiden ist.