Kohl: Weizsäckerreise „Meilenstein“

■ Eine Reihe von Problemen zwischen Kreml und Bundeshaus / Kohl hofft auf Gorbatschowbesuch für nächstes Jahr / Kohl verweist NS–Verbrecherliste an Länderstellen / Vollmer will Veröffentlichung

(Bonn/Berlin (ap/dap/taz) - „In Moskau kommt immer das Freundliche und das Unfreundliche zusammen“, kommentierte Bundeskanzler Helmut Kohl am Donnerstag die Überraschende Überreichung einer Liste in der Bundesrepublik lebender Kriegsverbrecher an den deutschen Bundespräsidenten. Zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion gebe es eine Reihe von Problemen, erklärte Kohl auf einer Pressekonferenz in Bonn, die durch die Reise Richard von Weizsäckers in die Sowjetunion nicht aus der Welt zu schaffen seien. Dazu gehöre auch die unterschiedliche Auffassung zur Frage der deutschen Nation. Kohl, der seine Hoffnung auf einen Besuch des sowjetischen Parteichefs Gorbatschow in Bonn noch im ersten Halbjahr 1988 verkündete, wertete den Besuch, an deren Vorbereitungen er „selbstverständlich sehr intensiv“ beteiligt gewesen sei, insgesamt als „Meilenstein auf dem Wege der Verständigung“ und ging auf den Stolperstein Kriegsverbrecherliste erst auf Nachfrage von Journalisten ein. Er habe das Papier zur Kenntnis genommen, sagte Kohl, verwies aber auf die zuständigen Stellen in den Bundesländern, von denen die Liste geprüft werden solle. Die Liste von 16 Nationalsozialisten, die während des zweiten Weltkriegs auf sowjetischem Boden Kriegsverbrechen begangen und in der Bundesrepublik Unterschlupf gefunden hatten, war Richard von Weizsäcker vom sowjetischen Staatspräsidenten Andrej Gromyko im Anschluß an die Moskauer Gespräche übergeben worden. „Es gibt eben noch andere Listen, als die der Wolgadeutschen“ kommentierte die Bundestagsabgeordnete der Grünen Antje Vollmer die „sehr kluge Reaktion“ Gromykos. „Die Veröffentli chung der Liste schafft einen Testfall dafür, wie ernst es der Bundesrepublik mit der Auseinandersetzung mit der NS–Vergangenheit ist“, erklärte die Grüne, die bereits in einem Brief an das Bundespräsidialamt die sofortige Veröffentlichung der Namen gefordert hat. In einem Gespräch mit den Deutschlandfunk forderte auch der SPD–Abgeordnete Egon Bahr die Bundesregierung auf, die Übergabe der Liste ernst zu nehmen. Der Bundesaußenminister Genscher, der bereits von seiner gemeinsam mit dem Bundespräsidenten angetretenen Reise in die Sowjetunion zurückgekehrt ist, habe den Kanzler umfassend informiert, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Kohl habe in in der Pressekonferenz die Meinung der Bundesregierung wiedergegeben. Beim Bundesprädidialamt wartet man erst einmal die Rückkehr von Weizsäckers ab. Der Bundespräsident befindet sich nach seiner offiziellen Verabschiedung bereits auf seiner Rückreise über Leningrad und Nowosibirsk. Auch im Kreml wurde der Weizsäckerbesuch insgesamt positiv beurteilt; Kritisch wurden die Haltung Weizsäckers zur angeblich offnen deutschen Frage und zu den Pershing IA–Raketen kommentiert. k.k. Gerede „Viele Reden von mir werden gänzlich hier unterschlagen.“ Bundeskanzler Helmut Kohl am Freitag vor der Bundespressekonferenz auf die Frage eines polnischen Journalisten, ob es ihn erstaune, daß die Rede des sowjetischen Staatsoberhauptes Andrei Gromyko in der westdeutschen Presse beinahe ganz unterschlagen worden sei.