Pinochet foltert - Zimmermann leugnet

■ Das Schicksal der 14 Chilenen ist immer noch ungewiß / Aus Santiago Gabi Weber

Die Diskussion von bundesdeutschen Politikern, ob es sich bei den 14 Chilenen, die in ihrer Heimat von der Todesstrafe bedroht sind, um Terroristen handelt oder nicht, ist angesichts der Folter, der sie unterworfen sind, geradezu zynisch zu nennen. Selbst nach dem Besuch von Bundesarbeitsminister Blüm, der den Foltervorwurf während seines Chile–Besuchs bestätigte, ist das Bundesinnenministerium nicht zu überzeugen, die Chilenen unverzüglich aufzunehmen.

Während unter bundesdeutschen Politikern immer noch diskutiert wird, ob es sich bei den 14 von der Todesstrafe bedrohten chilenischen Regimegegnern um „Terroristen“ handelt (Innenminister Zimmermann), deren Aufnahme abzulehnen sei, wartet man in Santiago auf die Urteilsverkündung im Berufungsprozeß gegen Carlos Garcia. Dem MIR–Mitglied wird die Erschießung des Chefs der Geheimdienstschule, Oberst Roger Vergara, zur Last gelegt; wann allerdings das Berufungsgericht seinen Spruch bekannt geben wird, das wissen noch nicht einmal seine Verteidiger. Die Verwandten der Gefangenen hoffen auf Hilfe aus Bonn. Mehrere Male waren sie in der Botschaft, wo sie über die ihren Angehörigen zur Last gelegten Taten „verhört wurden“ - so die Wortwahl der Pressereferentin. In der diplomatischen Vertretung sowie in Gesprächen mit BundesarbeitsministerBlüm, der bis gestern in Chile war, schilderten sie die Haftbedingungen ihrer Angehörigen. Carlos Garcia war im Januar 1981 zusammen mit seiner Frau und ihrem Kind verhaftet worden. Der Geheimdienst CHI habe nicht nur ihn gefoltert, so seine Schwester Ana Maria, sondern vor seinen Augen seiner auf einen Eisenbett festgeschnallten Frau Elektroschocks verabreicht, während das 16 Monate alte Kind auf ihren nackten Bauch gelegt wurde. Die Ärztegruppe „Pide“ veröffentlichte Monate später Fotos des Kindes, dessen Körper mit Brandwunden von Zigaretten übersät war. Garcia unterschrieb während der Folter, so Ana Maria, mehrere Blankobögen, seine „Geständnisse“. Etliche der Gefangenen, die im Moment von der Hinrichtung bedroht sind, mußten miterleben, wie ihre Verwandten verschleppt und ermordet wurden. Victor Diaz, der wegen des Attentats auf Pinochet angeklagt ist, war 1976 gerade 16 Jahre alt, als sein Vater „verschwand“. Und der Bruder von Jorge Palma, dem die Erschießung des Gouverneurs von Santiago, General Carol Urzua, zur Last gelegt wird, wurde 1974 verhaftet und tauchte seitdem nicht mehr auf. Im selben Jahr war seine Schwester, die Kinderärztin Haydee, verhaftet, gefoltert und bewußtlos an der peruanischen Grenze ausgesetzt worden. „Die Deutschen rechtfertigen den Widerstand gegen Hitler“, - so Palma–Anwalt Fernando Zegers - „doch hier wird jeder Widerstand als Terrorismus bezeichnet.“ Zegers hätte sich eine schnelle Entscheidung der Bundesregierung gewünscht, denn Bonn habe großes politisches Gewicht bei den chilenischen Militärs. Die Richter hätten - so der Verteidiger - die Angeklagten statt zum Tode zur Ausweisung verurteilen können. Insgesamt sind zur Zeit 14 Gefangene von der Verhängung der Todesstrafe bedroht: Wegen Banküberfällen und Schießereien wurde in erster Instanz vor dem Militärgericht gegen zehn MIR– Mitglieder die Todesstrafe beantragt, ein Urteil wurde noch nicht gefällt. Der Richter ist ein General, der auch die Ermittlungen ge leitet hat. Akteneinsicht gibt es für die Anwälte - obwohl in der Prozeßordnung vorgesehen - in diesen Verfahren nie. Der erste Kontakt mit dem Mandanten findet, sagt Palma–Anwalt Zegers, frühestens einen Monat nach der Festnahme statt, wenn dieser bereits gefoltert und zur Unterschrift eines „Geständnisses“ gezwungen worden ist. Drei MIR–Leute wurden in erster Instanz wegen der Erschießung des Generals Urzua zum Tode verurteilt. Sie warten auf ihren Berufungsprozeß vor dem Kriegsgericht, das aus drei Obristen und zwei zivilen Richtern besteht. Bei dem Urteil im Berufungsprozeß gegen Carlos Garcia würde eine Nein–Stimme ausreichen, um ein Todesurteil zu verhindern. Die Strafe würde dann in lebenslang oder in eine Ausweisung umgewandelt werden. Der Oberste Gerichtshof des Landes, an den der Fall nach einem Urteil erneut überwiesen werden könnte, kann nur überprüfen, ob Rechtsfehler begangen wurden, die eine Aufhebung des Urteils rechtfertigen. Rechtsanwalt Zegers hält allerdings eine Hinrichtung für unwahrscheinlich. Er hofft auf den Einspruch eines zivilen Richters, da eine Erschießung eine Massenmobilisierung der Gefangenen auslösen könnte. Genau das widerspricht jedoch der Strategie der Militärs. Sie versuchen, jede Bewegung niederzuhalten. Zur Zeit werden „zur Einschüchterung“, wie eine Bewohnerin sagt, ganze Stadtteile durch kämmt. Am 15. Juni erschoß der Geheimdienst CHI zwölf angebliche Mitglieder der der Kommunistischen Partei zugerechneten Frente Patriotico Manuel Rodriguez (FPMR) vor ihren Haustüren. „Das war keine isolierte Ak tion, sondern Teil eines Plans“, - so ein Mitarbeiter der Menschenrechtskommission auf einer Pressekonferenz. „Die Taktik heißt: Spalten“, so kommentiert das Wochenmagazin Analisis, „einerseits mittels der Repression, die Angst produziert und dadurch zur Lähmung eines Teils der Opposition führt, und andererseits die Verhandlungs– und Gesprächsangebote an die Opposition, die dieselbe Wirkung haben: die Entmobilisierung.“