Genetisches Roulette im rechtsfreien Raum

■ Erste Freisetzung gentechnisch manipulierter Mikro–Organismen in Bayreuth / Europaweites Experiment / Risiko–Abschätzung nach dem Trial–and–Error–Prinzip / Grüne fordern Versuchs–Stopp / Wissenschaftler können Gefahren selbst nicht definieren

Von Friedrich Landenberger

Berlin (taz) - Ein Erbsenfeld im Fränkischen ist Schauplatz einer höchst umstrittenen Premiere bundesdeutscher Genforschung. Bereits im Mai diesen Jahres haben hier, wie der in Berlin erscheinende „Gen–ethische Informationsdienst“ der vergangenen Woche und der Spiegel von heute meldet, Wissenschaftler des Instituts für Genetik in Bayreuth gentechnisch veränderte Mikro– Organismen gezielt in die offene Natur freigesetzt. Über die genaue Lage des mit Zäunen und Netzen gegen unbefugten tierischen oder menschlichen Zutritt geschützten Ackers mag sich der Leiter des Experimentes, Professor Walter Klingmüller, nicht äußern. Sonst, so verriet er dem Spiegel, „würde doch bald eine Rotte Grüne kommen und alles zertrampeln“. Das Experiment, bei dem erstmals in der Bundesrepublik künstlich hergestellte Mikro–Organismen nicht rückholbar in die Umwelt entlassen wurden, haben gleichzeitig auch Wissenschaftler in England und Frankreich durchgeführt. Gefördert und mit je 60.000 ECU (120.000 Mark) finanziert wurde es von der EG– Kommission als Studie zur Abschätzung der Risiken bei der Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen. Bakterien statt Dünger Bei dem manipulierten Bakterium handelt es sich um ein „Rhizobium leguminosarum“, das an den Wurzeln von Erbsen und an deren Hülsenfrüchten athmosphärischen Stickstoff fixiert und damit die Pflanzen düngt. Die Entwicklung von stickstoffixierenden, sich sozusagen selbst düngenden Pflanzen, gehört zu den kommerziell interessantesten Versprechungen der Gentechnik. Die Symbiose zwischen Rhizobien und Leguminosen gilt dabei als natürliches Vorbild, das auf andere Pflanzen übertragen werden soll. Diesen Rhizobien wurde von dem europäischen Forscher–Konsortium ein Genabschnitt eingefügt, der sie gegen verschiedene Antibiotika resistent macht, die auch in der Humanmedizin Einsatz finden. Die Antibiotika–Resistenz soll als sogenannter genetischer Marker die freigesetzten Bakterien wieder auffindbar machen. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob man die künstlich eingebaute Eigenschaft auf andere Bakterien, mit denen das Rhizobium in Berührung kommt, übertragen kann. Organismen nicht rückholbar Eben solche unvorhergesehenen und nicht kontrollierbaren Übertragungen künstlich eingefügter Gen–Informationen auf andere Organismen gehören zu den großen, bisher kaum erforschten Gefahren bei der Freisetzung manipulierter Organismen. Die möglichen Folgen derartiger Freisetzungsexperimente gelten heute als wissenschaftlich nicht abschätzbar. Da die Mikro–Organis men nicht rückholbar sind, empfahl deshalb im Januar diesen Jahres die Gentechnik–Enquete– Kommission des Bundestages ein Moratorium für solche Freisetzungs–Experimente. Die Richtlinien der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS), der in der BRD Genmanipulations–Experimente vorgelegt werden müssen, schließen bisher Freisetzungen grundsätzlich aus. In diesem Fall schloß sich die ZKBS in einem Briefwechsel mit dem Bayreuther Institut allerdings Professor Klingmüllers Argumentation an: Es handele sich hierbei gar nicht um eine gentechnische Manipulation, sondern um eine „Rekombination mit natürlichen Methoden“. In der Tat regeln die Sicherheitsrichtlinien bisher nur solche Genmanipulationen, die in vitro, also im Glase, durch Aufschneiden der DNS und Einsetzung eines fremden Gens mittels sogenannter Restriktionsenzyme bewerkstelligt wird. Ausdrücklich fordert deshalb die Enquete–Kommission, auch in vivo Rekombinationen (d.h. im lebenden Organismus) wie in diesem Falle in die Verordnung aufzunehmen. Unklare Definitionen Das Ergebnis ist, wie es die Erfinder dieser Bakterie im britischen Rothamsted beschreiben, ein „transgener Hybrid“, d.h. ein aus genetischen Eigenschaften unterschiedlicher Organismen zusammengesetztes Kunstprodukt. Während das britische Forscherteam in seinem Antrag an das dortige „Advisory Committee on Genetic Manipulation“ (ACGM) denn auch offen von gentechnischer Manipulation spricht, weist Klingmüller diesen Begriff weit von sich. Der Vorsitzende der ZKBS, Goebel, spricht sogar von einem „völlig normalen Vorgang“, der mit Gen–Manipulation nichts zu tun habe. Der Grund für die semantischen Rekombinationsübungen mag darin liegen, daß nach den britischen Regeln des ACGM Freisetzungen manipulierter Organismen unter bestimmten Umständen genehmigt werden können. Im Gegensatz zu den Bayreuther Kollegen trafen die englischen Gentechniker entsprechend umfängliche Vorkehrungen, um notfalls die Äcker, auf denen ihre Gen– Schöpfung freigesetzt wurde, mit starken Giften so weit wie möglich zu sterilisieren. Hilfreich war für die Forscher wohl auch die Tatsache, daß ihr ehemaliger Kollege, Professor Beringer, der sich als erster mit der Manipulation der Rhizobien in Rothamsted befaßt hatte, nun als Mitglied dieses Komitees über ihren Antrag zu befinden hatte. In Frankreich, wo das Experiment von einem Team des staatlichen Instituts für Landwirtschaftliche Forschung (INRA) in Dijon durchgeführt wurde, wurden die zuständigen Komissionen erst gar nicht informiert. Auf seinem eigenen Grund und Boden, so die leitende Wissenschaftlerin Noelle Armanger, könne in Frankreich schließlich jeder aussetzen, was er wolle. Juristisch liegt Frau Armanger damit nicht falsch. Auch in der Bundesrepublik ist die Einhaltung der Richtlinien der ZKBS nicht gesetzlich vorgeschrieben. Forschern, die sich nicht daran halten, kann schlimmstenfalls die staatliche Förderung entzogen werden. Der Privatindustrie, die sich freiwillig den Richtlinien unterworfen hat, drohen überhaupt keine Sanktionen, wie der Fall eines Darmstädter Geninstituts im vergangenen Jahr bewies. „Die Wissenschaftler bewegen sich hier noch weitgehend im rechtsfreien Raum“, kommentiert der Europa–Abgeordnete der Grünen, Benny Härlin, der den Fall auf der letzten Sitzung des Europa– Parlamentes publik machte. „Hier sollen Schritt für Schritt und notfalls durch die Hintertüre Fakten geschaffen werden.“ Deshalb forderte er einen sofortigen Stopp der Experimente und das Verbot weiterer Freisetzungen bis zu einer ausreichenden wissenschaftlichen Klärung der Gefahren und entsprechender verbindlicher Gesetzesvorschriften. Darüber hinaus sei eine unzweideutige Definition des Begriffes „gentechnische Manipulation“ offensichtlich dringend erforderlich. Die konkreten Gefahren, die das Bayreuther Experiment für die Umwelt darstelle, seien deshalb so ernst zu nehmen, weil sie von den Wissenschaftlern selbst offensichtlich nicht definiert werden könnten, sondern in einem „unverantwortlichen Trial–and– Error–Verfahren“ praktisch erprobt werden sollten: „Das ist russisches Roulette mit der Natur.“