Von armen Schluckern und Spitzenverdienern

Wenn die Bundesregierung geltend macht, ein jeder Steuerzahler müsse ab 1990 weniger Lohn– bzw. Einkommenssteuer bezahlen (mal vorausgesetzt, die Einkünfte änderten sich nicht), so hat sie schlicht recht - mit der Einschränkung freilich, daß die ärmsten Schlucker unter den Bürgern, die unter 5.000 DM verdienen, heute keinen Pfennig zahlen müssen, mithin auch nicht in den Genuß irgendwelcher Steuersenkungen kommen können. Die Grenze soll ab 1990 bei 6.000 DM liegen. Immerhin, die weniger armen Schlucker, die bis 9.000 DM verdienen, müssen nicht mehr wie heute 22 Prozent davon abliefern, sondern nur noch 19 Prozent - der „Eingangssteuersatz“ ist also gesenkt. Von hier an gehts ab in die „Progressionszone“: Jede Mark zusätzlicher Verdienst wird höher versteuert - aber auch nur die zusätzliche Mark. Alle anderen, „unteren“ Märker werden zum jeweils zuständigen Satz versteuert. Spitzenverdiener müssen daher auch nicht ihr ganzes Geld zum Spitzensatz versteuern, sondern nur das, was Spitze ist. Im Extrem fall nur die eine Mark, mit der sie das Spitzeneinkommen ab 130.000 DM (heute) erreichen. Die Steuersätze werden daher „Grenzsteuersätze“ genannt. Nicht nur die armen Schlucker, auch unsere Spitzenverdiener werden entlastet: Der höchste Steuersatz wird von 56 auf 53 Prozent gesenkt, dafür soll er künftig ab 120.000 DM Jahreseinkommen greifen. Für die mittelmäßigen Einkommen, die sich zwischen Eingangs– und Spitzensatz befinden, wird die Progressionskurve durchweg gesenkt. Eine solche Maßnahme steht ohnedies von Zeit zu Zeit an, da im Zuge der allgemeinen Teuerung immer mehr Verdiener in prozentual höher besteuerte Einkommensklassen fallen. Viel mehr ist die „große“ Steuerreform freilich auch nicht. Weder wird an der Steuersystematik etwas geändert, noch wird größere Steuerklarheit durch Vereinfachung angestrebt, beklagte kürzlich das Hamburger HWWA–Wirtschaftsforschungsinstitut. Zutiefst sozial Für die Bundesregierung ist das alles eine zutiefst soziale Veranstaltung. Sie beruft sich auf die Wissenschaft: Die Alleinstehenden der Republik mit einem Jahreseinkommen bis zu 50.000 DM erhalten nach Schätzungen des Ifo–Instituts für Wirtschaftsforschung 66,3 Prozent der Gesamtentlastung durch die Steuerreform, ziehen wir die Grenze bei 75.000 DM, so haben wir 89,4 Prozent des gesamten Entlastungsvolumens durch die „große Steuerreform“, während sich die Unglücklichen, die über 75.000 DM pro Jahr einheimsen, mit den restlichen 10,6 Prozent Entlastungsvolumen begnügen müssen. Und da wage es noch jemand, hier von einer Umverteilung von unten nach oben zu sprechen! Kritiker der These der sozialen Ausgewogenheit der Steuerreform setzen nun zunächst an der Erkenntnis an, daß es dem Bezieher niedrigen Einkommens wenig hilft, wenn er weiß, daß seine über die ganze Republik gestreute Gehaltsgruppe insgesamt sehr stark entlastet wird. Er ist kein Steuer– Gattungswesen, für ihn zählt verständlicherweise nur, was er ganz individuell auf seinem Konto findet. Und da sieht die Sache ganz anders aus. Forscher des Rheinisch–Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung RWI haben errechnet, daß ein berufstätiges kinderloses Ehepaar mit heutigem Nettoeinkommen von 3215 DM/ Monat nach 1990 ganze 80 DM mehr herausbekommt, während es bei 6995 DM schon ein Plus von 740 DM wären. Wer 500.000 DM im Jahr verdient, wird 1990 sage und schreibe 27.822 mehr herausbekommen. Dies ist deshalb logisch, weil jemand, der mehr Steuern zahlt auch leichter um größere Summen entlastet werden kann - Lebenskünstler ohne Einkommen und der Armut Verfallene dagegen um garnichts. Von unten nach oben? Dies allein rechtfertigt indes noch nicht die These der Umverteilung von unten nach oben, schließlich zahlen alle Steuerpflichtigen weniger. Wenn wir aber das „Kleingedruckte“ in den vollmundigen Regierungserklärungen ansehen, wird schon deutlicher, wohin der Osterhase läuft mit seinem Umverteilungskörbchen. Die Koalition ist nie davon ausgegangen, daß sie die gesamten 44 Milliarden DM auf der Ausgabenseite einsparen kann, da sollen höchstens 25 Milliarden zusammenkommen. Bleiben noch 19 Milliarden. Woher nehmen und zwar möglichst unauffällig, ist die Frage. Höhere Kreditaufnahme ist verpönt, daher bleibt angeblich nur die Aufstockung bei anderen Steuern, bzw. die Streichung von Steuervergünstigungen. Dieter Spöri (SPD) fiel kürzlich die „Liste der Grausamkeiten“ in die Hände, über die die Regierung als Finanzierungsmöglichkeiten nachdenkt, und von denen sie einige nach den Landtagswahlen in Schleswig– Holstein und Bremen präsentieren wollte. Spöri als glücklicher Spitzenkandidat für Baden–Württemberg konnte nun seinerseits präsentieren. Laut dieser Grusel–Liste stehen z.B. der gültige Weihnachts– und der Arbeitnehmerfreibetrag, die Steuerfreiheit für Sonn–, Feiertags– und Nachtarbeit und vieles mehr zur Dispositon - insgesamt 166 Vergünstigungen, die insbesondere für das Nettoeinkommen der Arbeitnehmer wichtig sind. Darüberhinaus steht die Erhöhung der Mehrwert– und der Mineralölsteuer zur Diskussion. Diese indirekten Steuern treffen die unteren Einkommensgruppen überproportional, weil sie einen größeren Anteil mehrwertsteuerrelevant konsumieren, während die Begüterten mehr (an der Mehrwertsteuer vorbei) sparen können - ganz abgesehen davon, daß sich Selbständige oftmals die Mehrwertsteuer als Vorsteuer zurückerstatten lassen können. Das Verlockende daran: Eine Mehrwertsteuererhöhung um zwei Prozentpunkte würde nach RWI–Berechnungen schon 14 der nötigen 19 Milliarden einfahren, bei drei Punkten wäre das Problem gelöst. Unterm Strich hieße das: Kaum weniger als die Hälfte des 44 Milliarden–Dings bestünde darin, daß Steuern aus dem sozial angehauchten - weil progressiv gestaffelten - einkommensbezogenen Bereich herausgezogen und in den für alle Konsumenten gleichen verbrauchsbezogenen Bereich umgeschichtet werden, mithin von unten nach oben umverteilt. Die Gewerkschaft Druck und Papier hat jetzt eine Rechnung aufgemacht, was eine Finanzierung der 19 Milliarden durch Mehrwertsteueranhebung und Streichung des Arbeitnehmer– und Weihnachtsfreibetrages bedeutet: Die Verkäuferin mit 24.000 DM Jahreseinkommen, die sich gerade darüber gefreut hat, daß sie 1990 463 DM weniger Lohnsteuer abdrücken muß, wird im selben Jahr wegen mehrwertsteuerbedingter Inflation 120 DM mehr ausgeben müssen und 235 DM weniger Freibeträge absetzen können: Nettoersparnis: 108 DM. Beim Einkommensmillionär, der ab 1990 42.836 weniger Einkommenssteuer bezahlt, verbleibt Summa summarum 39.236 an Steuererleichterung - es sei denn, er verfrißt die gesamten eingesparten 42.836 DM mehrwertsteuerrelevant.