I N T E R V I E W „Wir haben jetzt eine völlig entspannte Situation“

■ Der Berliner Justizsenator Rupert Scholz nimmt Stellung zu einer von ihm betriebenen Gegenreform im Strafvollzug

taz: Herr Scholz, der Spiegel nennt Sie noch recht freundlich „Reformer von rechts“, andere sehen in Ihnen einen der Protagonisten einer restriktiven Wende, der zurück will zum Verwahrvollzug. Rupert Scholz: Zuerst einmal müssen Sie sehen, was ich wirklich mache. Im Übrigen, Reformer von rechts ist doch nicht das Schlechteste - oder? Die wirklich guten Reformen kommen doch von den Konservativen. Lassen sie uns beim Thema Strafvollzug bleiben. Sie werden zusammen mit der bayerischen Justizministerin als die Speerspitze der Gegenreform im Strafvollzug angesehen? Da ich selbst ein halber Bayer bin, ist es zunächst einmal immer etwas Gutes, mit Bayern zusammen genannt zu werden. Das, was die völlig einseitige und unsinnige Debatte ausgelöst hat, ist die Frage nach der Berücksichtigung der „Schwere der Schuld“ bei den Vollzugslockerungen. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Denken sie an einen Wirtschafts– oder einen Umweltkriminellen. Das sind in aller Regel Leute, die nicht vorbestraft sind. Sie kriegen eine relativ geringe Freiheitsstrafe. Von der ganzen Persönlichkeitsstruktur her kommen sie in den Vollzug ohne Vorstrafe und haben im Grunde sofort den gesetzlichen Anspruch auf Vollzugslockerungen. In aller Regel sind solche Leute sofort im Freigang. Die Frage ist doch für uns, ob es sich dabei wirklich noch um eine Strafe handelt, die auch als solche empfunden wird? In der BRD werden immer mehr Menschen zu immer längeren Haftstrafen verurteilt. Die U–Haft– Dauer ist mit die längste in Westeuropa. Sind Sie als Justizpolitiker stolz darauf, daß hier dreimal soviel Leute eingesperrt werden wie z.B. in Holland? Das ist in dieser Form, wie sie das sagen, falsch. In Berlin zeigt die Kriminalstatistik insgesamt sogar ein Ansteigen der Kriminalität. Schauen Sie sich dagegen die Situation bei uns in den Gefängnissen an. Wir haben Gefängnisse, die bei weitem nicht mehr so besetzt sind wie früher. Jetzt sitzen in Berlin 3.100 in Haft. Und wir haben eine Kapazität von 4.100 Haftplätzen. Die Zahl der Untersuchungsgefangenen ist von etwa 1.000 auf jetzt ca. 500 zurückgegangen. Als ich das erste Mal in Berlin Justizsenator war, da hatten wir die unglaublichen Probleme mit der Überbelegung. Da waren es immer über 4.000. Wir sind heute - sicherlich teilweise auch durch Erweiterung - dahingekommen, daß die Freiheitsstrafe differenzierter eingesetzt wird. Wir haben jetzt eine völlig entspannte Situation. Was ist bei den Beratungen der Justizministerkonferenz über das Strafvollzugsgesetz herausgekommen? Wir haben die Frage der Berücksichtigung der „Schwere der Schuld“ beim Strafvollzug nicht es weiter diskutieren. Im Strafvollzugsgesetz steht, der offene Vollzug soll Regelvollzug sein. Um diesen vor zehn Jahren ins Gesetz geschriebenen Leitsatz scheint es gar nicht mehr zu gehen. Wenn es darum noch ginge, hätten sie seitdem hier gar keine geschlossenen Anstalten mehr bauen dürfen. Das steht doch so gar nicht im Gesetz. Dort steht: Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des Offenen Vollzugs untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des Offenen Vollzugs genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht und die Möglichkeiten des Offenen Vollzugs zu Straftaten mißbraucht werden. Im Übrigen sind die Gefangenen im Geschlossenen Vollzug unterzubringen. Und nun will ich Ihnen erzählen, welchen Beschluß ich bei der Justizministerkonferenz erwirkt habe und der Ihnen endgültig meine Linie klarmachen wird. Als entscheidungsreif sehen die Justizminister den Wegfall der Erfordernis der Zustimmung des Gefangenen zur Verlegung in den Offenen Vollzug an. Wir haben festgestellt, daß in vielen Fällen die Gefangenen die Zustimmung zur Verlegung nicht geben, weil sie sich im Grunde da ganz wohl fühlen, wo sie sind, in Einzelzellen und Ähnlichem. Offener Vollzug, wenn er machbar ist, ist das richtige Instrument, um eine vernünftige Wiedereingliederung zu gewährleisten. Aber für mich ist das Grundprinzip im Strafvollzug: Der Gefangene muß mitarbeiten an seiner eigenen Resozialisierung. Gegen den Willen eines Gefangenen selbst werden sie nie eine Resozialisierung bewirken. Das Problem ist doch eine immer restriktivere Anwendung von im Gesetz vorgesehenen Vollzugserleichterungen. Sie können nicht belegen, daß der Kurs rigider und restriktiver geworden ist. Aber in Westberlin ist doch der geschlossene Vollzug in den letzten Jahren enorm ausgebaut worden. Sie haben doch regelrecht Überkapazitäten gebaut. Die neue Frauenhaftanstalt ist ein Beispiel. Und gleichzeitig zeigt die Statistik einen Rückgang der Frauenkriminalität. Es sind ja sehr weit zurückreichende Planungen. 1976 gab es schon die Planung der Frauenhaftanstalt. Der Vollzug war damals gekennzeichnet durch ein permanentes Ansteigen der Gefangenenzahlen und gekennzeichnet durch eine bauliche Substanz der Anstalten aus der Jahrhundertwende, die auf den alten Verwahrvollzug zugeschnitten war. Meistens sind alte Bauten stillgelegt und durch neue ausgewechselt worden. Bei der Frauenanstalt ist es jedoch richtig, daß wir jetzt eine Kapazität von 290 Haftplätzen haben und nur knappe 50 Prozent davon beset daß in dieser Anstalt allein sieben unterschiedliche Haftarten mit entsprechenden Trennungsgeboten vollstreckt werden müssen. time, mtm