Serie Hegemonialmacht USA (1)
: Der Untergang des Imperiums

■ Die Gefahr geht von der Führungsmacht aus / Steht die USA vor einem neuen "Schwarzen Freitag"?

Sehr lange ist es nicht her, daß Politiker und Ökonomen bewundernd auf das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ blickten und ihren Hut vor den Erfolgen des „Reagan–Booms“ lüpften. In Europa lag der Patient mit „Eurosklerose“ darnieder: jenseits des Atlantik wurden in wilder kapitalistischer Spekulation neue Arbeitsplätze en masse geschaffen - wenn auch nur schlecht bezahlte, unter miesen arbeitsrechtlichen Bedingungen und in „gewerkschaftsfreien“ Zonen bei einer Produktivität, die in der Regel der Branchen unter der westeuropäischen oder gar japanischen lag: Die Zuwachsraten der Produktivität in den USA betragen schon seit Beginn der siebziger Jahre weniger als 2 etwa 4. Inzwischen allerdings kann man im Getöse, das die Helden von Irangate anstellen, und im Brausen der rollenden Wellen einer überschäumenden Bau– und Grundstücksspekulation die warnenden Stimmen nicht mehr überhören: Fast 60 Jahre nach dem Schwarzen Freitag vom Oktober 1929 ist ein neuer Zusammenbruch der durch die Wellen von Unternehmensfusionen (mergers) hochgeputschten Börsen im Bereich des Möglichen, das Zerreißen der faulen Kreditbeziehungen in der Größenordnung von Tausenden Milliarden Dollar sogar wahrscheinlich: Die Konsumenten stehen mit etwa 2.000 Mrd. Dollar in der Kreide, die Unternehmen sind mindestens genauso hoch verschuldet, die Farmer des Mittelwestens haben bereits vor den Kreditverpflichtungen in Höhe von zig Mrd. Dollar das Handtuch geworfen und der Staat hat die Aufrüstung der vergangenen Jahre mit der Verdoppelung der Staatschuld auf über 2.000 Mrd. Dollar bezahlt: Für die ersten 1.000 Milliarden Staatsschuld benötigten die Präsidenten der USA mehr als 200 Jahre, die zweiten 1.000 Milliarden machte Reagan in nur fünf Jahren. Unfug ist es natürlich, eine Generationenlogik zu vermuten, wie jener Nationalökonom aus Dallas, der einen 30– bzw. 60jährigen Zyklus unterstellt, je nachdem, ob die heutige Generation die Fehler der Eltern oder die der Großeltern wiederholt. Denn die Sachlage heute ist von der der späten zwanziger Jahre doch höchst verschieden: Insbesondere waren damals die USA noch nicht die politische, militärische und ökonomische Hegemonialmacht, war der Dollar noch nicht Weltgeld, war das internationale ökonomische und politische System nicht durch ein kompliziertes und fragiles institutionelles Gefüge reguliert. Die gleichen Fehler wie vor 60 Jahren können also gar nicht gemacht werden, und wenn, dann mit unvergleichbar größeren Ausmaßen. Superschuldner USA Damals vor 60 Jahren waren die USA der Supergläubiger und der Börsenkrach von Wall Street traf Europa, weil die USA ihre Kapitalanlagen auflösten und in die USA repatriierten. Heute sind die USA der Superschuldner der Weltwirtschaft, und ein Krach würde sehr schnell und direkt Anlagen aus Japan und Westeuropa in den USA entwerten. 1985 war in der US–Geschichte dieses Jahrhunderts ein denkwürdiges Jahr: Zum ersten Mal übertrafen die Verbindlichkeiten der USA gegenüber dem Ausland mit 1013,5 Mrd. Dollar die Forderungen in der Höhe von 947,1 Mrd. Dollar. Die Führungsmacht der westlichen Welt steht also gegenüber dem Ausland mit 66,4 Mrd. Dollar in der Kreide. Und 1986/87 hat sich dieser Prozeß fortgesetzt. Die Schuldenkrise der Länder der Dritten Welt ist eine Kleinigkeit im Vergleich zum Pumpkapitalismus, den die USA in großem Stil seit Beginn der achtziger Jahre unter der Regie der Schauspieler im Weißen Haus inszeniert haben. Der Positionswandel der USA in der Weltwirtschaft erschließt sich bei einem Blick auf die Entwicklung der Zahlungsbilanz: Bis 1971 übertrafen die Exporte die Importe - ein Zeichen für die überlegene Wirtschaftskraft -, so daß die Handelsbilanz überschüssig war. Mit den Überschüssen konnte der Kapitalexport finanziert werden, also die Entwicklungs– und Militär–“Hilfen“ der Regierung, die Direktinvestitionen der Multis, die Dollar–Kredite, mit denen die internationalen Kapitalmärkte überschwemmt wurden. Seit 1971 ist die Handelsbilanz defizitär, und zwar mit steigenden Beträgen: 1986 betrug das Loch etwa 150 Mrd. Dollar. In den siebziger Jahren konnte dieses Loch noch durch Überschüsse bei den Kapitalerträgen (Zinsen, Gebühren etc.) gestopft werden; im Jahresdurchschnitt lag der Überschuß der Leistungsbilanz immerhin noch bei 290 Millionen Dollar. Dies ist zwar sehr wenig, doch verglichen mit dem Defizit seit Beginn der achtziger Jahre ist es viel. Denn inzwischen ist das Defizit auf 70 Mrd. Dollar im Jahresdurchschnitt angewachsen, und zwar ebenfalls mit steigender Tendenz; 1986 betrug es schon 140,6 Mrd. Dollar. Dieses Defizit ist mit immer mehr Kapitalimporten aus dem „Rest der Welt“ finanziert worden. Während der Amtszeit Reagans haben sich die Anlagen von Ausländern in den USA mehr als verfünffacht (von 26 Mrd. Dollar 1981 auf 136 Mrd. Dollar 1986). „Casino–Kapitalismus“ Der Effekt ist in mehrfacher Hinsicht pervers: Erstens ist der Dollar nicht mehr begehrt, weil damit US–Waren gekauft werden sollen, sondern weil damit bei hohen Zinserträgen spekuliert werden kann; elektronische Geräte und Autos werden heute billiger und besser in Japan angeboten. Also müssen die Zinsen angehoben werden, um dem notwendigen Kapitalimport einen Anreiz zu bieten. Die hohen US–Zinsen aber fördern die unproduktive Spekulation und bestrafen produktive Investitionen. Die Bruttozinserträge sind von 1979 bis 1983 von 26 des Sozialprodukts angestiegen - auf Kosten der Masseneinkommen und der Profite von Unternehmen; wer will noch produzieren, wenn an der Börse das schnelle Geld lockt? Es entsteht der „Casino–Kapitalismus“ (Susan Strange), mit einigen Gewinnern und vielen Verlierern. Nur die Bank profitiert immer - jedenfalls solange sie nicht gesprengt wird. Zweitens finanzieren sich die oberen und mittleren Klassen in den USA einen unverdient hohen Konsumstandard mit den Kapitalimporten. Das ist natürlich sehr angenehm, so lange wie ausländische Kreditgeber ihr Geld in der Erwartung hoher Zinserträge zur Verfügung stellen. Doch ab Anfang der neunziger Jahre wird der Schuldendienst der USA an das Ausland drei bis vier Prozent des Sozialprodukts erfordern. Entweder müssen dann die privaten oder öffentlichen Konsumausgaben verringert werden, oder die USA entwerten ihre Schuldverpflichtungen und prellen ihre Gläubiger im Ausland. Denn anders als ein verschuldetes Land der Dritten Welt sind die USA im Casino die Bank und der potenteste Spieler zugleich; und wenn ihnen die Chips ausgehen, können sie welche nachdrucken. Sie entwerten mit der Dollarinflation natürlich alle Chips der anderen und erzeugen das Finanzchaos, das sie als Hegemonialmacht eigentlich vermeiden müßten. Die Grundlagen des amerikanischen Imperiums werden von den USA selbst zerstört. Drittens sind die Konsequenzen der Hochzinspolitik, der Defizite und wachsenden Verschuldung der USA für die Länder der Dritten Welt ein Desaster. Sie müssen nun nicht nur mit den USA bei den internationalen Banken um Kredite konkurrieren, sondern viel schlimmer: der Netto–Kapitaltransfer aus den armen Ländern der Dritten Welt wird von den USA benötigt, um den feisten Drohnen ihrer Mittel– und Oberschicht die Vergeudung auch weiterhin zu ermöglichen. Die Kehrseite der Favelas in Rio de Janeiro sind die Marmorfassaden der Banken und die Highway–Unkultur Floridas. Viertens würden aber Versuche der USA, diese fatale Lage zu verändern, keineswegs der Krisenhaftigkeit in der „Freien Welt“ ein Ende bereiten. Denn wenn die USA das praktizieren würden, was der Internationale Währungsfonds heute von den verschuldeten Ländern der Dritten Welt verlangt: nämlich den Gürtel noch enger zu schnallen, um einen Handelsbilanzüberschuß zu erzielen, damit die Zinsen und Tilgungen auf im Ausland aufgenommene Kredite finanziert werden können, dann kämen die Welthandelsströme in Turbulenzen. Mit dem von den hohen Exportüberschüssen getragenen Boom in Japan, Süd–Korea, aber auch in der BRD wäre es vorbei. Da eine Umkehrung der US– Handelsbilanz nur möglich wäre, wenn erstens der Dollar bedeutsam abgewertet würde und zweitens protektionistische Maßnahmen ergriffen würden, wäre die Ordnung von Welthandel und Weltwährung nur noch mehr zerrüttet als jetzt. Die Macht des Stärkeren wirkt selbst in einer Situation der Schwäche. Die Krise des US–amerikanischen Hegemonialsystems ist also bis zur Ausweglosigkeit zugespitzt. Doch sind die USA eindeutig Führungsmacht. Diese Position können ihnen weder Japan noch Westeuropa bislang streitig machen. Die Art und Weise, wie diese Führung freilich ausgeübt wird, untergräbt nicht nur den nationalen Konsens, der für die Stabilisierung internationaler Beziehungen wichtig ist, sondern auch die ökonomischen Grundlagen der „Hegemonialordnung“, die nach dem zweiten Weltkrieg errichtet worden ist. Leider ist der „Untergang des amerikanischen Imperiums“ nicht von außen zu betrachten wie der amüsante Film gleichen Titels. Alle sind wir Figuren auf der Szenerie. Deren Drehbuch wird in den Chefetagen der transnationalen Unternehmen und Banken geschrieben, und deren Dramaturgie wird in den Watergates und Irangates der Washingtoner Politszene ausbaldowert....