Nach Holland wie vor 15 Jahren

■ Untersuchung der Stuttgarter Frauenbeauftragten dokumentiert repressive § 218–Praxis in Baden–Württemberg

Von Ulrike Helwerth

Nach dem Willen der Scharfmacher in der Südwest–Union wird die Verschärfung des § 218 im Mittelpunkt der Debatte stehen, wenn sich die baden–württembergische CDU am kommenden Wochenende in Friedrichshafen zu ihrem Landesparteitag trifft. Die jetzt schon repressive Handhabung des § 218 in Baden–Württemberg geht den christlichen „Lebensschützern“ offenbar noch nicht weit genug. Bereits seit Ende 1985 übernehmen die „Richtlinien für Schwangerschaftskonfliktberatung“ (“Die Beratung dient zum Schutz des ungeborenen Lebens“, daher sind Abbrüche „grundsätzlich zu mißbilligen“) Test– und Vorreiterrolle für das bundesweit geplante „Beratungsgesetz“. Stolz verweist die Landesregierung auf die „dramatische Sonderentwicklung“: Schwangerschaftsabbrüche nach der Notlagenindikation sollen im Musterländle um 44 % zurückgegangen sein, bundesweit hingegen nur um 4 wurden offiziell nur 135 Abbrüche registriert, während es etwa im annähernd gleich großen Hannover 1.000 waren, in Frankfurt sogar 5.000. Ganz Baden–Württemberg verzeichnete im gleichen Zeitraum 6.337. Kein Wunder: Die Probleme werden einfach exportiert. Wie vor 15 Jahren fahren auch heute die Baden–Württembergerinnen zur Abtreibung nach Holland oder Hessen, weil sich Ärzte und Krankenhäuser weigern, Indikationen zu schreiben beziehungsweise Abbrüche zu machen. Da ambulante Abtreibungen in Privatpraxen in Baden–Württemberg nicht erlaubt sind, sind Frauen auf stationäre Eingriffe in Krankenhäusern angewiesen. In Stuttgart zum Beispiel hat sich die Situation durch einen Chefarztwechsel in der städtischen Frauenklinik noch mehr verschärft. Dort werden Abtreibungen nur noch gemacht, „wenn wir die Indikation nachvollziehen können“, so der ärztliche Direktor, Professor Dr. Mestwerdt. 80 - 90 Gynäkologe Prof. Erwin Rimbach in einem Gutachten, um das ihn die Stuttgarter Frauenbeauftragte Gabriele Steckmeister vor kurzem gebeten hatte. Schon zu Anfang des Jahres hatte sich die Frauenbeauftragte in Sachen § 218 bei Stadt– und Landesvätern schwer in die Nesseln gesetzt. Als „eklatante Diskriminierung“ hatte sie die hiesige Handhabung des Paragraphen öffentlich angeprangert. Im Büro der Frauenbeauftragten sind in der Zwischenzeit zahlreiche persönliche Berichte eingetroffen, die die „Demütigung und Entmündigung“ ungewollt schwangerer Frauen in den Mühlen der ärztlichen Bürokratie hinlänglich dokumentieren. Aber selbst bei der medizinischen Indikation kann es Schwierigkeiten geben, wie Gabriele Steckmeister weiß. Eine ältere Frau wurde von ihrem Hausarzt vor einer Querschnittslähmung nach der Geburt gewarnt. Kein Problem für eine Stuttgarter Klinik: Schließlich könnten Kinder auch vom Rollstuhl aus betreut werden, hieß es in der Ablehnung. Um „mehr Sachlichkeit“ in die „sehr emotionsgeladene Diskussion“ zu bringen, startete die Frauenbeauftragte im April eine Umfrage unter Stuttgarts FrauenärztInnen. Freiwillig - und auf Wunsch anonym - sollten sie angeben, wie sie den § 218 in ihrer Praxis handhaben. Die Bezirksärztekammer, mit der die Aktion nicht abgesprochen war, ging auf die Barrikaden. Auch die Chefs im Rathaus fühlten sich übergangen. OB Rommel sprach von Kompetenzüberschreitung und drohte, die Aufmüpfige an die Kandare zu nehmen. Daß es soweit bisher nicht kam, hat Gabriele Steckmeister zahlreichen Solidaritätsbekundungen und nicht zuletzt den Reaktionen auf ihre Umfrage zu verdanken. Von 85 angeschriebenen GynäkologInnen antworteten immerhin 30. Danach halten zwei Drittel die ärztliche Versorgung hinsichtlich Schwangerschaftsabbruch in Stuttgart für nicht ausreichend, die gleiche Zahl gibt an, Patientinnen gleich nach Hessen oder Holland zu schicken. Allen Grund für Gabriele Steckmeister, an ihren Forderungen festzuhalten: eine Abtreibungsklinik für Stuttgart wie in Karlsruhe, wo der städtischen Frauenklinik eine Abteilung angegliedert ist, in der Abbrüche auch nach sozialer Indikation durchgeführt werden. Sozialministerin Barbara Schäfer (CDU) betonte jedoch im Gespräch mit Vertreterinnen des Landesfrauenrates und des DGB, es bestehe für die „Änderung der § 218–Praxis kein Handlungsbedarf“. In 35 Kliniken im Lande seien Abbrüche möglich. Niemand habe Anspruch auf eine Klinik vor der Haustür.