Iraner wegen Ladendiebstahl erwürgt

■ 20jähriger iranischer Asylbewerber in Tübinger Supermarkt nach Würgegriff von Angestelltem gestorben / Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung / Protestdemonstration am Wochenende

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Mehr als 600 Tübinger haben am Samstag mit einer spontanen Demonstration ihre Empörung und Trauer über den Tod des iranischen Asylbewerbers Kiomars Javadi zum Ausdruck gebracht. Der 20jährige Chemielaborant aus Teheran war am Mittwoch abend am Hinterausgang der in Süddeutschland weit verbreiteten Lebensmittelkette „Pfannkuch“ vor den Augen von Kunden erwürgt worden. Drei Angestellte des Supermarktes hatten Javadi dabei ertappt, wie er mit einem Einkaufswagen mit einigen Lebensmitteln den Hinterausgang verlassen wollte. Sie überwältigten ihn von hinten und warfen ihn nach einem Handgemenge zu Boden. Ein Angestellter nahm den jungen Mann dann ca. 10 Minuten lang in den „Schwitzkasten“. Wie die örtliche Lokalzeitung, das Schwäbische Tagblatt, berichtet, hatten Passanten dem Pfannkuch–Angestellten zugerufen, er solle den Mann loslassen, er würde ihn ja umbringen. Der Mitarbeiter habe jedoch nur geantwortet, „den laß ich nicht mehr los“. Andere Kunden trauten sich nicht mehr einzugreifen, da weitere Angestellte eine „drohende Haltung“ eingenommen hätten. Als die Polizei nach 15 Minuten eintraf, kamen alle Wiederbelebungsversuche für Javadi zu spät. Er starb kurz nach seiner Einlieferung in eine Klinik. „Gewalteinwirkung im Halsbereich, Tod durch Ersticken“, ist das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt gegen zwei Supermarktangestellte wegen fahrlässiger Tötung. Für den Tatvorwurf Totschlag wollte der Staatsanwalt bisher wenig Anhaltspunkte sehen. Beide Supermarktangestellten sind weiterhin auf freiem Fuß. In der Pfannkuch–Filiale ging der Verkaufsbetrieb ungehindert weiter. Nur als sich am Samstag 600 Demonstranten vor dem Geschäft versammelten und es mit Plakaten wie „Hier ist der Tod umsonst“ verzierten, schloß der Supermarkt seine Tore. „Hier kaufen wir nicht mehr ein“, war eine der Reaktionen von ehemaligen Kunden am Rande der Protestdemonstration. Die Lebensmittelkette hat sich bisher nicht zu dem gewaltsamen Tod von Kiomars Javadi geäußert, und weder gegenüber dessen Frau noch seiner Mutter, die mit ihm zusammen in einem Tübinger Sammellager lebten, ein Wort des Bedauerns geäußert. In Tübingen hat dieser Tod heftige Reaktionen hervorgerufen. Während die Politiker bisher schwiegen, beteiligten sich fast alle politischen Gruppen, kirchliche Organisationen und Flüchtlinge verschiedener Nationalitäten an der vierstündigen Spontandemonstration am Samstag, bei der es neben Zustimmung auch heftige Beschimpfungen für die Demonstranten gab. „Die sollten mal lieber für den armen toten Rudolf Heß demonstrieren“, meinten etliche Bürger der Stadt, die einen Tag nach dem Tod von Kiomars Javadi eine Delegation ehemaliger Tübinger Juden feierlich als „Zeugen und Mahner“ begrüßt hatte.