AIDS–Bekämpfung mit Spritzen–Automaten

■ Internationaler Kongreß zu „AIDS und Drogen“ in Bremen / Wenig akut Erkrankte, aber viele HIV–Infizierte unter den Fixern / Verhalten in der Drogenszene nur schwer zu ändern / Erste Automaten mit sterilen Spritzen aufgestellt / Klare Absage an Zwangsmaßnahmen

Von Susanne Paas

Bremen (taz) - „AIDS und Drogen“ - unter dieser Bezeichnung fand zum ersten Mal ein internationaler Kongreß zu diesem Themenkomplex statt. Er wurde von Mittwoch bis Freitag in Bremen abgehalten. Das Europa–Büro der World–Health–Organisation hatte 34 SpezialistInnen aus 17 Ländern und vier Kontinenten eingeladen und präsentierte gestern erste Ergebnisse der Tagung. Während allein in der Stadt New York von rund 200.000 Drogenabhängigen etwa 120.000 bereits HIV–infiziert sind, schätzt man die Zahl der Fixer in der gesamten BRD auf 120.000, von denen 40.000 infiziert sein dürften. „Wir sind hier in der BRD nicht Brennpunkt, wir haben noch Chancen, uns durch rechtzeitige Aufklärung zu schützen“, hoffte der Bremer Bürgermeister und Gesundheitssenator Dr. Henning Scherf. Der Epidemiologe Brunet aus Paris sowie die Drogenspezialistin Asherry aus den USA interpretierten den in jüngster Zeit gemeldeten verminderten Anstieg der Infektionen wenig optimistisch: In den USA gelte ein statistischer Rückgang momentan für die AIDS–Kranken, nicht aber für die Infizierten. Und in Europa sei zwar die Zahl der akut AIDS–Erkrankten unter den Drogenabhängigen relativ niedrig, aber die schon sehr hohe Zahl der drogenabhängigen HIV–Positiven in europäischen Städten lasse auch hier einen rasanten Anstieg der Kran kenzahlen in kurzer Zeit erwarten. Eine dicke Dokumentation mit den Berichten aus den vertretenen Ländern und vor allem mit Anleitungen für die Drogenberatungszentren soll in den nächsten zwei Monaten erstellt und mehrsprachig herausgegeben werden. Da sollen dann all die ganz konkreten Beratungshilfen aufgeführt werden, die auf der Abschlußveranstaltung nur sehr allgemein blieben. Mut, so betonte der Leiter des WHO–Europabüros in Kopenhagen Goos, machten die Erfahrungen aus den USA, den Niederlanden und Großbritannien, daß auch bei der Risikogruppe der Drogenabhängigen Verhaltensänderungen erreichbar seien, wenn auch ungleich schwieriger als etwa bei den Homosexuellen. Durch bessere Aus– und Weiterbildung sollen deshalb Drogenberater und Streetworker in die Lage versetzt werden, Einfluß auf das Verhalten Drogenabhängiger zu nehmen. Daß Kondome möglichst überall und massenhaft zur AIDS–Prävention verfügbar sein müssen, hat sich inzwischen sogar bis in manche Schulen und Knäste durchgesetzt. Viel schwerer tun sich Landesregierungen und Behörden, aber auch ExpertInnen mit dem freien Zugang - etwa in Drogenberatungsstellen - zu sterilen Spritzen und Kanülen. Dieses Thema, so betonte der Tagungsleiter Dr. Schönhöfer, sei „kontrovers“ diskutiert worden. Den Erfahrungen aus europä ischen Ländern, die steriles Spritzbesteck in den Drogenberatungsstellen verteilen oder Spritzen–Automaten aufstellen, sei zu lernen, daß dies allein das needle– sharing nicht abschaffe: „Das Teilen der Nadel gehört auch zum Lebensstil dieser Risikogruppe!“ Sie müsse ihr Verhalten ändern. Mit Blick auf den Internationalen Kongreß in ihrer Stadt hatte die Bremer Initiative „Kommunale Drogenpolitik / Verein für akzeptierende Drogenarbeit“ in Eigenregie und ungehindert auf einem Bürgersteig des Szene–Viertels einen Automaten mit sterilen Spritzen und Kanülen aufgestellt. Eine Mark kostet eines der rosa oder blauen Päckchen, und dafür gibt es wahlweise drei Kanülen und eine Spritze oder zwei Kanülen und zwei Spritzen. Ein erster Automat hängt seit zwei Monaten wenige Straßen weiter und kann den Bedarf der etwa 600 Bremer Heroin–KonsumentInnen kaum decken. 70–100 Packungen werden dort alle 24 Stunden gezogen. Daß sterile Spritzbestecke sicher nicht ausreichen, aber unerläßlich zur AIDS–Vorbeugung bei Drogenabhängigen sind, hatte auch der AIDS–Bericht des Bremer Gesundheitssenators vor wenigen Monaten festgestellt. Der Verein fordert deshalb, daß auch das Hauptgesundheitsamt und die städtische Drogenberatungsstelle eigene Automaten aufstellen und bestücken. Programme mit Ersatzdrogen wie Methadon und ihre Verabreichung seien nur am Rande diskutiert worden und dies sehr kontrovers. Während in fast allen europäischen Ländern zumindest Versuchsreihen oder Pilot–Projekte, manchmal auch systematische Verabreichungen durchgeführt werden, sind die Länder in der Bundesrepublik mit dem synthetischen Opiat sehr zurückhaltend. Der Seuchenspezialist Brunet aus Paris betonte: Auch wenn Situationen und Ansichten in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich seien, müsse jeder möglichen Lösung eine Chance geboten werden, sich zu bewähren und überprüfen zu lassen. Man könne es sich nicht leisten, irgendwelche vielleicht mögliche Lösungen zu verwerfen. „Wir wollen uns nicht zum Handlanger von Polizeitrategen machen lassen“, hatte der Bremer Bürgermeister Scherf in seiner Eröffnungsrede erklärt. Daß nicht Meldepflicht und Zwangstests, sondern nur Aufklärung und Beratung überhaupt eine Chance haben, war die übereinstimmende Ansicht der großen Mehrheit der europäischen Fachleute.