Schlappe für die Atomlobby im DGB

■ Der Deutsche Gewerkschaftsbund wird am Atom–Ausstieg bis zum Jahr 2000 festhalten / Diskussion um Beschlußvorlage für den DGB–Bundesvorstand

Von Marin Kempe

Berlin (taz) - Der Deutsche Gewerkschaftsbund will am Ausstieg aus der Atomenergie festhalten. Nach Informationen der taz haben sich die drei ausstiegsfeindlichen „Energiegewerkschaften“ ÖTV, IG Bergbau und Energie und IG Chemie bei den internen DGB–Beratungen um eine Präzisierung des Ausstiegsbeschlusses vom DGB–Bundeskongreß im Mai 1986 nicht durch setzen können. Der DGB–Bundesvorstand will im Oktober seine Haltung zur Atomenergie auf Basis des Kongreßbeschlusses vom letzten Jahr festlegen. Im Vorfeld dieses Beschlusses hatte es sowohl in den Einzelgewerkschaften wie im DGB insgesamt eine heftige Debatte um den Atomausstieg gegeben, weil die ÖTV, die IGBE und die IG Chemie für ihren Bereich Positionen formuliert hatten, die offensichtlich vom DGB–Kongreßbeschluß abweichen. Damals, kurz nach Tschernobyl, hatten sich die DGB–Delegierten mit großer Mehrheit für einen Atom–Ausstieg „so rasch wie möglich“ ausgesprochen. Die jetzt zwischen dem DGB und den Einzelgewerkschaften verhandelte Beschlußvorlage für den DGB–Bundesvorstand wird, wie die taz aus DGB–Kreisen erfuhr, das Ziel eines möglichst schnellen Atom–Ausstiegs bestätigen. Der dagegen erwartete Widerstand aus den drei ausstiegsfeindlichen Einzelgewerkschaften blieb auf einer Expertensitzung am Dienstag in Düsseldorf „überraschend schwach“. Für die politischen Konfliktpunkte werden im Einzelnen folgende Kompromißlinien erwartet: 1. Die ÖTV hatte in einem von der Atomlobby stark beeinflußten Expertengutachten einen breiten gesellschaftlichen Konsens (unter Einschluß der Betreibergesellschaften, der konservativen Parlamentsmehrheit usw.) als Bedingung für einen Ausstieg bezeichnet und damit faktisch eine politische Barriere für ihre eigene Position zum Ausstieg formuliert. Eine ähnliche Haltung vertritt auch die IGBE. Die Vorlage wird diese Formulierung nicht enthalten, sondern die energiepolitischen Voraussetzungen Fortsetzung auf Seite 2 (Einsparungen, Ersatzenergien) skizzieren, die nach Meinung des DGB für einen möglichst schnellen Ausstieg geschaffen werden müssen. Es wird in der Beschlußvorlage keinen konreten Zeitplan geben. Wenn die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden, wird allerdings ein Ausstieg im günstigsten Fall bis zur Jahrtausendwende für möglich gehalten. 2. Die Inbetriebnahme der drei derzeit im Bau befindlichen Atomkraftwerke wurde von der ÖTV– Ausstiegskommission befürwortet. Die DGB–Vorlage wird diese Inbetriebnahme zwar nicht aus schließen, sie aber an die gleichzeitige Stillegung anderer Atomkraftwerke koppeln. Insgesamt soll die Atomkraftwerkskapazität auch kurzfristig auf keinen Fall erhöht werden. 3. In ihrem kürzlich vorgelegten „Überbrückungskonzept“ zur Sicherung der Steinkohle fordert die IGBE zwar ein zeitweiliges Herunterfahren der Atomstromkapazitäten. Ab 1995 aber wird eine Steigerung der Atomstromproduktion vorgesehen. Dieses Konzept, ein „friedliches Nebeneinander“ von Kohle– und Atomenergie ohne zeitliche Begrenzung fortzuschreiben, orientiert sich nach Aussagen der IGBE an den derzeitigen politischen Machtverhältnissen. Abgesehen davon hat der IGBE–Vertreter in den Ver handlungen am Dienstag den „Ausstiegswillen“ der IGBE betont. Die Positionen des „Überbrückungskonzepts“ werden in die Beschlußvorlage für den DGB–Bundesvorstand keinen Eingang finden. 4. Eine Ausstiegskommission der Industriegewerkschaft Chemie hatte kürzlich zwar die energiepolitische Machbarkeit eines Ausstiegs nach der Jahrtausendwende bestätigt, jedoch aufgrund der Unsicherheiten auf dem Energiesektor die Möglichkeit hervorgehoben, daß man in fernerer Zukunft - etwa um 2050 - wieder auf Atomenergie zurückkommen müsse. Auch wenn Prognose–Unsicherheiten eingeräumt werden, wird dieser Versuch, eine Option auf die Atomenergie für unbe grenzte Zeit offenzuhalten, von anderen DGB–Gewerkschaften als „nicht kompromißfähig“ bezeichnet. Zwar ist die Diskussion am Dienstag in diesem Punkt noch nicht zu einer endgültigen Klärung gekommen. Dennoch geht man davon aus, daß es in der DGB– Beschlußvorlage keinen Bezug auf die Verwendung der Atomenergie zu einem ferneren Zeitpunkt geben wird. Die Experten des DGB und der Einzelgewerkschaften wollen in der nächsten Woche die Schlußformulierung für die Beschlußvorlage unter Dach und Fach bringen. Sollte die Diskussion erwartungsgemäß verlaufen, sind die drei atomfreundlichen Energiegewerkschaften mit ihrem atompolitischen Roll–back im DGB vorerst gescheitert.