Minderheitenkonflikte in Pakistan

■ Drogen– und Waffenschmuggel stehen hinter den ethnischen Auseinandersetzungen, die in der letzten Woche dreißig Tote gekostet haben

Von Rainer Hörig

Bei blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen Mohajir und Pathanen in Pakistan sind in der vergangenen Woche 30 Menschen ums Leben gekommen. In Karatschi und anderen Städten war das öffentliche Leben lahmgelegt, über 400 Personen wurden verhaftet. Die Behörden verhängten über Karatschi und Hyderabad eine Ausgangssperre und setzten Armeeinheiten zur Sicherung der öffentlichen Ordnung ein. Polizisten stürmten Büros und Wohnhäuser der rivalisierenden Parteien und nahmen zahlreiche Funktionäre fest, darunter die Führer der ethnischen Parteien „Mohajir Qaumi Movement“ und „Pakhton Punjabi Ittehad“. Von den sieben Millionen Einwohnern der pakistanischen Wirtschaftsmetropole sind 1,5 Millionen Pathanen und 2,5 Millionen Mohajirs. Beide Volksgruppen sind im Vergleich zu anderen Ethnien wirtschaftlich und kulturell benachteiligt. Die wirtschaftliche Not begünstigt Neid und Konkurrenzgehabe zwischen den Minderheiten. Die Mohajir stammen aus dem ostindischen Unionsstaat Bihar. Als 1947 Britisch–Indien in den muslimischen Staat Pakistan und das säkulare, aber von Hindus dominierte Indien aufgeteilt wurde, flüchteten Hunderttausende muslimische Biharis nach Pakistan. Auch im heutigen Bangla Desh, das einst zu Pakistan gehörte, leben muslimische Biharis in Flüchtlingslagern unter katastrophalen Bedingungen. Die Mohajir fordern seit langem eine Umsiedlung dieser Flüchtlinge nach Pakistan. Die Pathanen, kriegerische Bergstämme, leben im Grenzgebiet Pakistan/Afghanistan. Sie kontrollieren den größten Teil des Waffen– und Drogenschmuggels in Karatschi. Außerdem beherrschen sie das Transportgewerbe der Hafenstadt. Seit Jahren steht die pakistanische Regierung unter innerem und äußerem Druck, den Drogenschmuggel aus dem „Goldenen Halbmond“, dem Grenzgebiet im nordwestlichen Pakistan und dem westlichen Afghanistan zu unterbinden, der in der Hauptsache über Karatschi ins Ausland führt. Die USA drohen mit Sanktionen, falls der Opium– und Heroinhandel über Pakistan nicht gestoppt werde. Auch die Mohajirs setzen die Behörden unter Druck, „kriminelle Elemente“ unter den Pathanen hinter Schloß und Riegel zu bringen. Die „Mohajir Quaumi Movement“, Volksbewegung der Flüchtlinge, hat wiederholt führende Beamte und Funktionäre der Komplizenschaft mit der Drogenmafia beschuldigt. Aufsehen erregte der Fall des Majors Zahoordin, in dessen Privatauto 220 Kilo Heroin gefunden wurden. Razzia in Karatschi Am 12.Dezember letzten Jahres schlug die Polizei zu. Im Rahmen der sogenannten „Operation Saubermachen“ durchsuchten 3.000 Soldaten den Stadtteil Sohrab Goth, Hochburg der Pathanenmafia. Einige hundert Kilogramm Heroin, Opium und Haschisch wurden beschlagnahmt. Waffen wurden kaum gefunden. Offenbar waren die Schmuggler gewarnt worden. Zwei Tage später rächten sich die Pathanen. Schwerbewaffnete Banden drangen in die größte Slumsiedlung Karatschis, die Kolonie Orangi, ein, wo etwa 200.000 Biharis leben. Orangi war vom Rest der Stadt abgeschnitten. Mit Maschinengewehren und Karabinern bewaffnet durchkämmten die Pathanen die Slums, steckten Geschäfte und Hütten in Brand und mordeten unschuldige Zivilisten. Doch die Mohajirs schlugen zurück und brandschatzten die von Pathanen bewohnten Slumviertel. In den nächsten Tagen kamen über 180 Menschen ums Leben. Die Krankenhäuser der Stadt waren hoffnungslos überfordert. Trotz Ausgangssperre und Schießbefehl gelang es der Polizei erst nach vier Tagen, die Straßenkämpfe zwischen Mohajirs und Pathanen zu beenden. Seither ist die Atmosphäre gespannt. Das Mißtrauen auf beiden Seiten scheint unüberbrückbar. Leidtragende der Gewalt sind wieder einmal die Ärmsten in beiden Volksgruppen. Viele Pathanen sind ins Grenzgebiet zu Afghanistan geflohen. Die Mohajirs haben aus der Vergangenheit gelernt und sich bewaffnet. Die staatlichen Ordnungshüter haben nur zu oft ihre Unfähigkeit bewiesen, Angehörige beider Volksgruppen vor den Gewalttätigkeiten zu schützen. Auch nach den jüngsten Auseinandersetzungen fiel dem pakistanischen Ministerpräsidenten Mohammed Khan Junejo nichts besseres ein, als die Vorfälle zu bedauern und beide Konfliktparteien zur Mäßigung aufzurufen. Die Opposition kritisierte die Unfähigkeit der Regierung, die Gewalt in Karatschi unter Kontrolle zu bringen. Wenn die Armen und Unterprivilegierten sich gegenseitig bekämpfen, zucken die Reichen mit den Achseln.