„Warum soll der nicht auch mal“

■ Mit Honeckers bevorstehender Westreise verbinden DDR–Bürger keine konkreten Erwartungen / „Das interessiert im Prinzip niemanden“ / Die meisten würden sich mehr Freizügigkeit wünschen

Aus Ostberlin Emma Erkelenz

„Na, wenn der Honecker erst mal da war, dann wird das hier ja auch alles ganz anders“, tröstet sich eine ältere Dame, die am überfüllten Grenzübergang Friedrichstraße zurück in den Westteil Berlins will. So wie die des ewigen Schlangestehens überdrüssige Ostbesucherin denken offenbar viele Bundesbürger, aber wenige DDR–Bürger. Nach den letzten Umfragen vor dem Besuch des DDR–Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker meint über die Hälfte der Westdeutschen, die Visite käme vor allem der DDR–Bevölkerung zugute. Die Tatsache, daß der SED– Chef nun zu Besuchszwecken ausreisen darf, sei „kein Gesprächsthema“, ist dagegen allenthalben in der DDR zu hören. „Das interessiert im Prinzip niemanden“, urteilt der 16jährige Schüler G. Auch der 21jährige Elektromonteur C. und der gleichaltrige Gabelstapler P. versprechen sich von dem Besuch selbst nicht viel. „Das ist höchstens eine Manifestation, eine Verstärkung von Tendenzen der letzten zwei Jahre“, drückt es die 35jährige S. aus, die in der Sozialpsychiatrie arbeitet. Im Gegensatz zu meinen anderen GesprächspartnerInnen findet die Lehrerin M. schon, daß so ein Besuch immer eine gewisse Bedeutung habe. „Man beschäftigt sich eher mit dem Land, das gegenseitige Interesse wird geweckt , und es dient sicherlich der Friedenssicherung.“ Die Frauen und Männer in OstBerlin, die mir einige Tage vor dem Besuch des Obergenossen in seiner alten Heimat so freundlich und bereitwillig auf meine Fragen antworten, stimmen trotz großer Altersunterschiede und trotz ihres sehr unterschiedlichen Verhältnisses zum DDR–Staat in erstaunlich vielen Punkten überein. Mehr Reisemöglichkeiten wünschen sich z.B. alle, aber auch größere Offenheit in politischen Diskussionen, weniger Ideologie beim Unterricht und in der Presse. Der 42jährige P., Bauleiter und mehrfacher Aktivist der Arbeit (“immer nur Auszeichnungen für Leistungen, nicht aus politischen Gründen“) lacht auf die Frage, warum er eigentlich reisen können will. „Vielleicht werden viele gar nicht reisen, wenn sie erst können. Man möchte aber ganz einfach die Möglichkeit dazu haben.“ K., die an der Filmhochschule studiert, möchte z.B. in den anderen Teil der Stadt fahren können, um sich die Filmfestspiele anzusehen. Grenzen öffnen hieße ja nicht, sie gleich abzuschaffen. Musikfan G. möchte deshalb überall herumfahren können, um sich Gruppen anzuhören und um sich mit Schallplatten einzudecken. C., der nicht weiß, warum man seine Reiseanträge nicht bewilligt, legt mehr Wert auf Kontakte. Ihn ärgert vor allen Dingen die Unmündigkeit, in der DDR–Bürger durch die Beschränkung der Reisemöglichkeiten gehalten werden. Man möchte „auch mal nach Italien statt nach Bulgarien“ ans Meer fahren. Ausreisen, um nicht mehr wiederzukommen, will niemand von den Befragten. Es sei immer mühsamer, aber notwendig, im eigenen Land etwas zu ändern, befindet M. Ganz gelassen übrigens sehen die Rentner Honeckers Reise: „Warum soll der nicht auch mal - alt genug ist er ja!“ kommentieren Bewohner eines Altersheims.