Nasses Wetter hat die Ernte „versaut“

■ Vor allem im Norden weniger bei geringerer Qualität eingefahren / Nach Tschernobyl zweites schlechtes Jahr für bundesdeutsche Bauern

Hamburg (dpa) - Die Ernte in diesem Jahr ist schlecht. Von Nord bis Süd klagen die Bauern, daß Menge und Qualität ihrer Ernte hinter dem Vorjahresergebnis zurückgeblieben seien. Mehrkosten für Bergung, Trocknung und Lagerung seien zu tragen, während die Preise stagnierten oder sogar noch fielen. Nachdem die Bauern 1986 durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl schon beträchtliche Einbußen hinnehmen mußten, machte ihnen in diesem Jahr das nasse Wetter erneut einen Strich durch die Rechnung. Schon im August versuchte daher Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg (CDU), bei den notleidenden Bauern lieb Kind zu machen. Bis Ende Oktober können sie bei ihren Finanzämtern beantragen, daß ihre Steuern gestundet wurden oder ihre Einkommenssteuervorauszahlung verringert wird. Bei diesen Sofort maßnahmen handelt es sich um steuerliche Hilfen, die bei Naturkatastrophen vorgesehen sind. Allein die Getreideernte wird in diesem Jahr um etwa acht Prozent geringer ausfallen als im Vorjahr. Zusätzlich ist aber noch die schlechtere Qualität zu beklagen - im Norden mehr als im Süden. Das bedeutet Preisabschläge und geringere Erlöse. Bei vergleichsweise hoher Restfeuchte nach den wenigen Sonnentagen kostet die aufwendige Trocknung viel Geld. Schlechtes Getreide kann nicht als Brotgetreide verkauft werden, sondern wird ans Vieh verfüttert. Die Roggenernte in Niedersachsen ist „versaut“, stellte der Landvolkverband fest. Qualitätsroggen und gute Wintergerste wurden dort kaum geerntet. Aus Westfalen–Lippe werden Einbußen von 15 Prozent bei der Wintergerste und sogar 20 Prozent beim Raps berichtet. In Schleswig–Holstein liegt der wärmeliebende Mais in seiner Entwicklung um rund einen Monat zurück. Schlecht sieht es vielerorts auch beim Heu aus: Meist konnten nur zwei Schnitte eingefahren werden. Der Futterwert sei „gleich Null“, so die drastische Schilderung des saarländischen Bauernverbandes. Viel Gras muß zu minderwertiger Silage verarbeitet werden. In Süddeutschland sind die Ernteausfälle insgesamt zwar auch erheblich, aber „nicht katastrophal oder ruinös“, wie das bayerische Landwirtschaftsministerium feststellte. Für eine Bilanz sei es jedoch zu früh. Zur Zeit werde noch eifrig gedroschen. Der baden– württembergische Bauernverband hält die Getreideernte schlicht für „unbefriedigend“. Zusätzlich müssen die Bauern dort beim Raps „gewaltige Einbußen hinnehmen“. Der Preis sei um ein Viertel gefallen. „Ein schlechtes Jahr für unsere Landwirtschaft“, meinte auch Nordrhein–Westfalens Landwirtschaftsminister Klaus Matthiesen (SPD). Obst– und Gemüsemärkte waren im Sommer bei gleichen oder sogar niedrigeren Preisen meist nicht so gut versorgt wie im letzten Jahr. Schlechte Qualität drückt die Preise. Leicht verderbliche Früchte wie Erdbeeren und Himbeeren mußten schnell geerntet und vermarktet werden. Kirschen wurden mancherorts drei Wochen später gepflückt. Ebenso wie Zwetschen waren sie oft matschig und aufgeplatzt. Auch der Gemüseanbau litt unter dem schlechten Wetter. Einbußen gab es vielerorts bei Bohnen, Spinat, Kohl und Zwiebeln. Nach der Salatschwemme im vergangenen Jahr schwammen den Bauern in Westfalen–Lippe bei dem Regen quasi die Salatköpfe weg. Beim Spargel war die Lage ähnlich traurig: Die klassischen Anbaugebiete in Südhessen verzeichneten Einbußen von 30 bis 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Kartoffelernte ist noch nicht beendet. Doch sind die Klagen schon jetzt unüberhörbar: Niedrige Preise und die Konkurrenz durch ausländische Billigkartoffeln verderben den deutschen Bauern das Geschäft.