„Wir müssen ein Stück weit vermitteln“

■ Die IG Metall und die Streiks in den ausländischen Zweigwerken deutscher Multis / Kommunikationssysteme noch nicht perfekt entwickelt Nord–Süd–Machtgefälle auch zwischen den Gewerkschaften / Interview mit dem Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen bei der IG Metall, Albert Schunk

Von Martin Kempe

taz: Herr Schunk, Sie haben vor drei Wochen die Erfolgsmeldung herausgegeben, der Daimler– Konzern habe aufgrund Ihrer Intervention beim Streik in Südafrika eingelenkt. Sie haben offenbar nicht genug interveniert, denn der Streik ging weiter. Schunk: Dennoch ist ein Erfolg nachzuweisen. 180 entlassene Arbeiter wurden zunächst wieder eingestellt. Trotz zweier Ultimaten, die das Unternehmen inzwischen gestellt hat, wird heute weiterverhandelt. Daraus entnehme ich, daß die Daimler–Geschäftsleitung in Südafrika mit dem Drohinstrument Entlassung vorsichtiger geworden ist. Aber wir werden keine Mühe scheuen, um auf die Geschäftsleitung hier einzuwirken. Was heißt das, keine Mühe scheuen? Daß wir mit der zentralen Geschäftsleitung hier in der Bundesrepublik ständig kommunizieren und versuchen, sie davon zu überzeugen, daß vor allem die Drohung mit Entlassungen dort nicht hingehört. Der VW–Gesamtbetriebsrat hat sich während des Streiks bei VW in Mexiko nicht eindeutig hinter die Forderung der mexikanischen Arbeiter gestellt, sondern die Geschäftsleitung aufgefordert, ein „vernünftiges“ Angebot zu machen. Ein feiner Unterschied ... Wenn wir in solche Konflikte eingreifen, können wir natürlich nicht den Anspruch erheben, die Tarifverhandlungen hier in der Bundesrepublik selber zu übernehmen. Neben dem Parteiergreifen müssen wir hier manchmal auch ein Stück weit zu vermitteln versuchen. Im Falle Mexiko hätte das Angebot der Geschäftsleitung eindeutig zu einer Verminderung der Realeinkommen geführt. Die IG Metall und der Betriebsrat wollten mit dieser Formulierung ausdrücken: Legt ein vernünftiges Angebot vor und keine Zumutung. Ich höre dennoch einen Zungenschlag, die hiesigen Formen sozialpartnerschaftlicher Auseinandersetzung auf andere Länder zu übertragen. Wir haben die Auswahl: Stellen wir uns einfach nur hinter die Forderungen und greifen sie öffent lichkeitswirksam auf, obwohl wir wissen, daß wir hier nicht die Verhandlungen führen? Oder versuchen wir, unseren Einfluß über den Gesamtbetriebsrat über unsere Rolle in den Aufsichtsräten zu nutzen. In dem Augenlick, in dem wir Öffentlichkeit herstellen und damit die Auseinandersetzung für das Unternehmen zu einer Prestigefrage wird, haben wir kaum noch eine Vermittlungschance. Erst wenn wir sehen, daß der direkte Kontakt keinen Erfolg hat, stellen wir Öffentlichkeit her. Warum können Sie nicht von hier aus Druck ausüben? Man kann auf die Geschäftsleitung in dem Sinne Druck ausüben: Versteckt Euch nicht hinter den Schutzwällen, die Euch dort eine diktatorische Regierung bietet. Respektiert gefälligst gewerkschaftspolitische Grundsätze, die wir weltweit einfordern, akzeptiert die Gewerkschaft als Verhandlungspartei, etabliert innerbetriebliche Demokratie, Wir hatten damit auch schon Erfolg. Zum Beispiel wurde noch zu Zeiten der Militärdiktatur bei VW do Brasil ein betriebsratsähnliches Gremium eingeführt. Ist das Verhalten der deutschen Konzerne in den Ländern der Dritten Welt in letzter Zeit schlimmer geworden? Das kann man so nicht sagen. Die Konflikte sind häufiger geworden. In vielen Ländern haben sich die politischen und sozialen Spannungen verschärft. Außerdem wird das Verhalten der Konzerne auch vom politischen Umfeld hier negativ beeinflußt. Helfen Sie eigentlich immer den ausländischen Gewerkschaften? Sind Sie nie selbst auf Hilfe angewiesen? Gibt es zwischen den Gewerkschaften dasselbe Machtgefälle wie insgesamt zwischen den industriellen Zentren und der Dritten Welt? Dieses Machtgefälle gibt es. Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik oder in Skandinavien haben einen sehr gefestigten politischen Einflußspielraum, der häufig bei den Gewerkschaften in der Dritten Welt nicht besteht. Sie sind jahrzehntelang durch Diktaturen behindert worden. Sie haben manchmal unnötige Rivalitäten untereinander, die eine stärkere Position behindern. Aber wir ha ben einen weltweiten Strukturwandel in der Wirtschaft mit der Konsequenz, daß Unternehmen Tochtergesellschaften in solchen Regionen einrichten. Damit wächst die Möglichkeit, die Kollegen dort gegen uns hier auszuspielen. Das erhöht unser Interesse an einer intensiven Kommunikation und Zusammenarbeit. Insofern gibt es auf die Dauer sicher keine Einbahnstraße. Wenn der Meister kommt und eine dritte Schicht für eine bestimmte Teileproduktion genehmigt haben will: Wie erfährt z.B. der Abteilungsbetriebsrat bei VW in Kassel, daß in Mexiko seit vier Wochen gestreikt wird und das Ansinnen des Meisters mit dem Streik zu tun hat? Die erste Voraussetzung - da bin ich vielleicht penetrant - ist, daß die mexikanische Gewerkschaft selber dafür sorgt, daß die Information rechtzeitig hierher kommt. Sie muß sich rechtzeitig ein Bild davon machen, welche Möglichkeiten alternativer Produktion es im Konzernverbund gibt. Unsere Betriebsräte hier haben schon eher eine Übersicht, welche Teile auch an anderer Stelle produziert werden können. Das schließt nicht aus, daß die Wechselbeziehungen manchmal nicht gesehen werden. So perfekt ist gewerkschaftliche Gegenwehr noch nicht entwickelt, daß ein Mitarbeiter oder Vertrauensmann sofort schaltet: aha, ich soll Überstunden machen, das kommt von Mexiko. Das ist auch sehr viel verlangt. Herr Schunk, Sie kommen ja viel im Ausland herum. Was können die deutschen Gewerkschaften eigentlich von den ausländischen lernen? Vor ein paar Jahren haben wir manchmal neidisch, bewundernd nach Italien geschaut. Große Massenveranstaltungen, hohes Mobilisierungspotential - da hatten wir immer das Gefühl, daß wir dazu gar nicht in der Lage gewesen wären. Heute ist das anders. Ich habe den Eindruck, daß einige unserer gewerkschaftspolitischen Grundsätze - Einheitsgewerkschaft, Industriegewerkschaftsprinzip - auch anderen Gewerkschaften helfen würden. Die häufig bestehenden Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen gewerkschaftlichen Strömungen sind in der Regel ausgesprochen hinderlich. Dabei will ich nicht verkennen, daß wir unter sehr viel besseren Voraussetzungen nach dem Zweiten Weltkrieg gestartet sind. Jedenfalls blicken wir nicht voller Neid auf die gewerkschaftlichen Strukturen in anderen Ländern. Wir glauben, daß hier bei uns einige Grundsätze verwirklicht sind, die weltweit mehr Bedeutung haben sollten. Stichwort Einheitsgewerkschaft: Ich habe manchmal den Eindruck, daß die IG Metall ihre eigenen internen Konflikte ihren ausländischen Partnern aufzwingt. Wenn z.B. eine ausländische Organisation die Daimler– Betriebsräte der plakat–Gruppe zu einer Tagung einlädt, bleibt die IG Metall fern. Zunächst einmal dürfen Sie natürlich nicht nur fragen, wie die IG Metall mit der plakat–Gruppe umgeht... Ich rede ja jetzt mit Ihnen... ..sondern auch, wie die plakat– Gruppe mit der IG Metall umgeht. Die IG Metall muß in erster Linie aktionsfähig sein. Eine Organisation ist aber nur dann stark, wenn sie auch eine gewisse Disziplin hält und auch Abgrenzungen vornimmt. Wir können nicht akzeptieren, wenn ausländische Kollegen etwa die plakat–Gruppe umfassend informieren, um uns damit auf Trab zu bringen. Die IG Metall erwartet, daß die Kollegen zuerst mit ihr Kontakt aufnehmen, wenn irgendwo etwas bewirkt werden soll. Mir scheint, daß der Zentralismus eine der größten Barrieren für intensive Kooperation ist. Sie können doch all die Aufgaben mit zwei oder drei Sachbearbeitern gar nicht bewältigen. Die Kontakte müßten zwischen den Belegschaften direkt entwickelt werden. Das ist richtig, aber nur begrenzt möglich. Wenn Sie die VW–Kollegen von Südafrika und Brasilien nehmen - da gibt es die Sprachbarriere. Manager kennen keine Sprachbarrieren. Die können alle Englisch. Das ist im gewerkschaftlichen Bereich nicht so. Deshalb sind die internationalen Kontakte bei einer internationalen Abteilung konzentriert. Der eine oder andere Gesamtbetriebsrat hat dann noch einen akademischen Berater eingestellt, der über gewisse Sprachkenntnisse verfügt und die internationale Arbeit betreibt. Es gibt also objektive Probleme, dem Unternehmensverbund vergleichbare Kommunikationssysteme mit dem gleichen Tempo, mit der gleichen Leistungsfähigkeit aufzubauen. Herr Schunk, über welchen Etat verfügen Sie? Ich habe keinen spezifischen Etat. Meine Kontrollinstanz ist mein Vorsitzender. Ich muß ihm jedes Projekt vorlegen, und er entscheidet.