„Auf den Spuren von Prof. Brinkmann“

■ „Prof. Brinkmanns“ Wirkungsstätte im Glottertal gerät zum Wallfahrtsort der TV–Gemeinde / Zur Freude der Tourismusfunktionäre hat die Äskulap–Schnulze das vom Waldsterben getrübte Image des Schwarzwaldes kuriert / Für die Anlieger wachsen sich die TV–Pilgerströme zur „Katastrophe“ aus / „Der Mond schreit müd durch kranke Äste

Von Thomas Scheuer

Als ob sie oben eine Grotte mit heilendem Wasser oder einen Jungbrunnen erwarten, hecheln die Patienten den schweißtreibenden Anstieg hoch. Doch nicht ihrer Plattfüße, des Haarausfalls oder sonstwelcher organischer Gebrechen wegen nehmen sie den steilen Fußweg in Kauf; vielmehr treibt sie ein mentales Leiden um, eine Art Realitätszweifel, gepaart mit den ersten Symptomen einer Sucht. Sieht sie wirklich so aus wie auf dem Bildschirm? Denn: Nicht die vielbesungene Mühle im Schwarzwälder Tal klappert hier in einem Seitental des Glottertals, sondern das Operationsbesteck von Prof. Brinkmanns Schnetzel– Crew. Hier steht sie also tatsächlich, filmgetreu inmitten einer idyllischen Landschaft, die zu Medien–Ruhm gelangte Kurklinik Glotterbad der Landesversicherungsanstalt Württemberg, in der normalerweise Herz– und Kreislauf– sowie Stoffwechselerkrankungen behandelt werden. Infiziert von der Äskulap– Schnulze drängen derzeit täglich Tausende von TV–Geschädigten zwecks Linderung schmerzhafter Neugierde durch das enge Tal zur Kultstätte hinaus. Und: Das Schwarzwaldklinik–Syndrom scheint unheilbar. Die seit zwei Jahren nicht abreißenden Pilgerströme zu den Originalschauplätzen des TV–Phänomens haben diesen Sommer epidemieartige Ausmaße angenommen, zumal von Mitte Mai bis letzte Woche die Außenaufnahmen für weitere Folgen abgedreht wurden, die Stars der weißen Front also vor Ort im Außeneinsatz waren. Die Aussicht auf einen Blick oder gar einen Händedruck des Professors hat zusätzliche Voyeuere und Autogrammjäger angelockt. Daß viele Nordlichter ihren Trip gen Süden für eine schnelle Runde um die Kaaba der deutschen TV–Gemeinde nutzten, hat dem schmalen Tal längs der Glotter zu Beginn der diesjährigen Reisezeit kilometerlange Staus beschert. Fünf junge Ladies, altersmäßig deutlich unter dem Durchschnitt der sonst eher gesetzten Marschkolonne, nehmen mit trainiertem Schritt die Anhöhe zur Heilstätte hinauf. Die Kripo–Anwärterinnen sind gerade auf Laufbahnlehrgang an der Landespolizeischule in Freiburg und müßten eigentlich eher auf „Schimmi“ alias Kommissar Schimanski abfahren. Da heute abend jedoch die Schwarzwaldkklinik auf dem gemeinsamen Freizeit–Stundenplan steht, wollten sie sich eben jene vorher mal in natura anschauen, „weils doch grad vor der Haustür liegt“. Realitätskontrolle geben denn auch die meisten TV–Pilger als Motivation für den kreislauffördernden Aufstieg an, deren Anfahrt weiter ausfällt. „Extra von weit her“ ist ein Paar aus Heilbronn angereist; es will, ebenso wie die Eheleute aus Belgien, „einfach mal sehen, ob sie in Wirklichkeit auch so schön aussieht“. Von der Gebäudeansicht sind sie etwas enttäuscht; die wirkt - weil vom Hubschrauber gefilmt - im Filmvorspann doch imposanter. Die Landschaft allerdings, so hört man einhellig schwärmen, sei „tatsächlich so schön wie im Film, einfach fantastisch“. Die Begeisterung kennt weder Grenzen noch Mauern: Für die Tante aus Hamburg, die das junge Pärchen in Freiburg besucht, steht die Visite ebenso auf dem Pflichtprogramm wie für die Dame aus Erfurt, die zu Besuch bei südbadischen Verwandten weilt und zu Hause kaum eine Sendung versäumt. Ein Schwabe - Klischees stimmen hier eben immer - konstatiert auf Anhieb „ein gutes Geschäft“, das hier mit einer Polaroidkamera zu machen sei. An einer Stelle, wo die Bäume den Blick auf die Hausfront freigeben, werde auch ich tatsächlich mehrmals um fotografische Hilfeleistung angegangen: „Bitte ganz langsam abdrücken, damit viel draufkommt.“ Ununterbrochen zirkuliert der Besucherstrom. Die steile Zufahrtsstraße hinauf, klick, das obligatorische Erinnerungsfoto vor dem Allerheiligsten, den „Viehhüttenweg“ wieder runter zum Parkplatz. Dort werden weitere „Beweismittel gesichert“, wie Bürgermeister Herbstritt den schwunghaften Handel mit Souvenirs nennt: „Ich hätte schon eine ganze Ladenstraße verkaufen können.“ Eine Schwarzwald–weit operierende Souvenirkette hat kurzerhand drei Garagen des Gasthauses „Sonne“ gepachtet (Herbstritt: „Die sind jetzt wenigstens verputzt.“) und vertreibt dort Topflappen, T–Shirts, Badetücher, Bierkrüge, die Klinik als Modell zum selber zusammenbauen - und für die Kleinsten Doktorköfferchen. Alles geschmückt mit einem Panorama– Bild von „der Republik beliebtestem Krankenhaus“ oder dem Konterfei von Hippokrates berühmtestem Sohn, mild grinsend. Zweifellos nur eine Frage der Zeit, bis das Schwarzwälder Kirschwasser in der Infusionsflasche angeboten und einheimischer Speck gleich mit Skalpell serviert wird. Eitel Sonnenschein im dunklen Tann Zum Leidwesen vieler Besucher liegt das „Hüsli“, das schnucklige Eigenheim des Chefchirurgen, in der TV–Geographie nur ein paar Schritte von der Klinik, in Wirklichkeit eine gute Autostunde vom Glottertal entfernt, nämlich im Dörfchen Grafenhausen beim Schluchsee (um den mittlerweile auf einem „Klausjürgen–Wussow–Weg“ gejoggt werden kann). Wenn nicht gerade als TV–Kulisse, dient das „Hüsli“ dort als örtliches Heimatmuseum. Eine Tafel verkündet den sowieso nicht wegen des Museums angereisten Touris, daß selbiges wegen Dreharbeiten gerade geschlossen ist. Das Areal ist weiträumig abgesperrt und zum Ärger der Schaulustigen auch noch von dichten Tannen und Gebüsch umstellt. Mit Feldstechern versuchen die Fans, das eine oder andere Starantlitz im dunklen Tann zu erspähen. Auf der Terrasse vor dem „Hüsli“ feiert der Brinkmann–Clan gerade kameragerecht Ostern. Kunststoff–Narzissen sorgen für die rechte Jahreszeit; die Requisite hat die Birnenstauden mittels Plastik–Blättern in respektable Weinreben umgeklont. Das Geschehen wird von einer riesigen Plane überspannt; auch wenn es während der Dreharbeiten Katzen hagelt - beim Professor zu Hause herrscht klimatisch immer eitel Sonnenschein. „Sind Sie von der Presse? Darf ich mich vorstellen, Strobel, ich bin Leiter des Kulturamtes beim Landratsamt in Waldshut“, geht ein Herr plötzlich die Presse–Fotografen an. Ob denn die Schwarzwaldklinik neuerdings unter die regionale Kulturförderung falle, frage ich belustigt. Er wolle eben mal schauen, „ob alles läuft“, erklärt mir Dr. Gallus Strobel mit wichtiger Miene. Die „bekommen bei uns ja alles was sie wollen, die brauchen nur zu husten“. Einmal kräftig gehustet, und schon war beispielsweise eine Ampel aus dem Asphalt der vorbeiführenden Kreisstraße gewachsen, die während der Aufnahmen den Verkehr blockt, weil der die Tonqualität minderte Ansonsten werden Schaulustige und Autofahrer von einem funkerfahrenen Veteranen der örtlichen Feuerwehr in Schach gehalten. Im Gespräch mit Herrn Strobel wird rasch klar, wieso Bürgermeister, Kurdirektoren und Verkehrsamtschefs von der Operation Schwarzwaldklinik so begeistert sind: Die Image–Salbe aus dem Hause Brinkmann hat das Bild des Schwarzwaldes wieder aufpoliert, das unter der „Negativwerbung“ des Waldsterbens so gelitten hatte. Vor drei, vier Jahren haben Einbrüche im Fremdenverkehr der Branche schwer zu schaffen gemacht. Und nicht selten mußten sich Umweltschützer in kleineren Gemeinden an ihren Info–Ständen als „Nestbeschmutzer“ anpöbeln lassen. Seit zwei Jahren jedoch steigen die Übernachtungszahlen wieder an und mit ihnen die Laune der Tourismus–Manager. Kritik am Kurzzeittourismus der da abgasintensiv über den Schwarzwald fegt, ficht Herrn Strobel nicht an: „Denken Sie an die armen Bergbauern, die sich mit Fremdenzimmern ein Zubrot verdienen.“ Und schon hängt sich Kulturförderer Strobel wieder an einen der Stars, diesmal an den „Seewolf“ Raimund Harmstorf, um ihn als zugkräftigen Gast für die Einweihung des neuen Kreismuseums zu gewinnen. „Ob man das als Aufschwung werten kann“, scheint dem Direktor des Fremdenverkehrsverbandes Südschwarzwald Dr. Göbel in Freiburg zumindest fraglich. Ihm wären längerverweilende Gäste lieber als die schnellen „Besichtigungstouristen“; die südbadische Spitzengastronomie sei ohnehin nicht auf die „Abfütterung von Gruppen“ ausgelegt. Die „über durchschnittlichen Zuwachsraten“ im Schwarzwaldtourismus sind laut Dr. Göbel nicht nur auf die Schwarzwaldklinik zurückzuführen. Gleichwohl bestätigt er die verstärkte Nachfrage nach Prospekten aus jenen Ländern, in denen die Schnulze gerade läuft, so derzeit aus Skandinavien und Italien. Da die Serie demnächst auch in Japan und den USA anlaufen wird, ist Werbematerial für diese Länder bereits in der Mache. Hospitalismus Noch kritischer sieht die ganze Geschichte Bürgermeister Herbstritt im Glottertal selbst, eigenem Bekunden nach „der einzige Bürgermeister, der nicht nur Halleluja schreit“. Zwar schätzt auch er den Werbeeffekt für sein Tal positiv ein, doch der gelernte Landwirtschaftsmeister und Fernsehmuffel spricht aber auch offen über die unerfreulichen Symptome des touristischen Hospitalismus. Die „Kürzest–Touristen“, so haben seine Helfer ausgerechnet, verweilten im Durchschnitt weniger als eine Stunde im Glottertal, bringen somit „sehr viel Verkehr in das enge Tal“, der auf Qualität ausgerichteten Gastronomie aber wenig. „Der Rummel ist nur um die Klinik herum.“ Dort mußte die Gemeinde erst mal in Infrastruktur investieren: Öffentliche WC–Häuschen wurden installiert und natürlich eine Info–Hütte im Schwarzwälder Stil, in dem ein Mädchen in Tracht Prospekte feilbietet, die die „Heimat der Schwarzwaldklinik“ anpreisen. 80.000 Mark hat die Umwandlung einiger Maisfelder in einen Parkplatz verschlungen, dessen Wächter pro Vehikel zwei Mark kassiert und an guten Tagen 2.000 - 3.000 Autos zählt. Nicht mitgerechnet sind einige hundert „Blindgänger“, also Fahrer, die ihre Karre einfach in die Felder oder Hofeinfahrten stellen. „Katastrophe“ ist das meistgebrauchte Wort, wenn Einheimische ihrem Unmut über den Rummel Luft machen. Auch Bürgermeister Herbstritt hätte „letztes Jahr bald hysterische Zustände bekommen“; viele der rund 2.500 Dorfbewohner plagten „Ängste, was aus unserem Ort wohl wird“. Das - echte - Personal der Kurklinik fühlt sich „bald nervlich am Ende“. Der LVA–Hausprospekt verspricht Linderung bei „nervös–körperlichen Erschöpfungszuständen“. „Man reagiert dort oben langsam leicht gereizt“, sagt man mir im Dorf. Ein Angestellter mit Funkgerät muß die Einhaltung der zahlreichen notwendig gewordenen Verbotsschilder und Absperrungen überwachen. Die Kurverwaltung stöhnt über organisierte Werbefahrten und Busreisegesellschaften, die meist „nichts außer Abgasen und leeren Flaschen“ hinterließen. Sie sind nur die motorisierte Vorhut einer Parasiten–Ökonomie, die im Sog des Booms mit absahnen will. Im Frankfurter Hauptbahnhof lockt die Deutsche Bundesbahn unter dem Motto „Auf den Spuren von Prof. Brinkmann“ zur zweitägigen „Ausflugsfahrt zu den schönsten Drehorten der ZDF–Serie“; 255.– Mark incl. Übernachtung. Letztes Jahr kreuzten gar die deutschen Vertreter einer US–amerikanischen Marketing–Gesellschaft auf, die exklusiv gleich sämtliche Rechte der Vermarktung aufkaufen wollten. Bürgermeister Herbstritt ließ sie abblitzen. Vom Image–Bonus der Romanze in Mull wollen viele publizistisch schmarotzen: In Scharen ließen sich Mitte Mai Journalisten mit einer Einladung zur „Live– Party Schwarzwaldklinik“ ködern und mußten sich dann mit langweiligen Reklame–Referaten in eigener Sache über das veranstaltende Satellitenfernsehen 3 SAT abfüttern lassen. Die Freiburger Breisgau Milch legte den Start ihrer „Rätsel–Foto–Rallye 87“ just auf den Schwarzwaldklinik–Parkplatz im Glottertal. Nicht aufgegangen scheint vorerst die Rechnung des Freiburger Roten Kreuzes. Auf Anfrage der Produktionsgesellschaft stellten die Samariter für Notfälle, aber auch für die Dreharbeiten selbst, gegen Entgeld Personal und Dienstfahrzeuge zur Verfügung. Als einer Sachbearbeiterin des Finanzamtes in der Wiederholung der Seifenoper Rettungsfahrzeuge mit Freiburger Kennzeichen ins beamtete Auge stachen, witterte sie sogleich eine Steuersünde. Gewährt der Fiskus Rot– Kreuz–Fahrzeugen doch Steuerfreiheit - allerdings nur, wenn diese „bei Unglücksfällen, im Rettungsdienst oder zur Krankenbeförderung“ zum Einsatz kommen. Den vergüteten Filmeinsatz der steuerbefreiten Krankenkutschen im Dienste Prof. Brinkmanns stufte das Finanzamt jedoch als „zweckfremd“ ein und mahnt nun prompt die Nachzahlung der KfZ–Steuern für die Zeit der Dreharbeiten an. DRK–Chef und SPD–Stadtrat Waldmann redet sich nun damit heraus, er habe im Hilfseinsatz seiner Sanitäter– Statisten eine werbewirksame Möglichkeit der Selbstdarstellung für das uneigennützige Rote Kreuz gesehen. Auch Umweltschützer haben die Werbewirksamkeit des Traumhauses inzwischen in den Dienst des Waldes gestellt. So lieferten Aktivisten von „Robin Wood“ kürzlich einen maladen Tannenbaum unter reger Anteilnahme der Presse als Patienten ein. Ihren Zorn hatte Produzent Rademann erregt, als er sich - eben in jener 3 SAT–Sendung - sprachlich aus den Niederungen der Unterhaltung in die Höhen der Baumbestände verirrte: „Einen kranken Schwarzwald gibt es bei uns nicht. Ich will hier keine kaputten Tannen haben. Die Amerikaner wollen das auch nicht.“ Chefarzt–Darsteller und Hobby–Lyriker Wussow zeigt in punkto Baumleiden schon etwas mehr Sensibilität. Wie sinniert er doch in einem unlängst erschienenen Gedicht–Bändchen: „Es ist die Zeit des Sterbenwollens, wenn müd der Mond durch kranke Äste schreit.“ Das tut schon weh.