Erich, komm bald wieder

■ Allgemeine Begeisterung über Honeckers Hinweis auf die Grenze „die nicht so ist, wie sie sein soll“ / Zufriedene Bilanzen nach dem Besuch des DDR–Chefs

Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - „Zeitgemäß, zweckmäßig und nützlich“ - mit diesen Worten qualifiziert SED– Chef Honecker gestern zum Abschluß seines fünftägigen Besuchs in der BRD in München seine Westreise. Der sibyllinische, lakonische Ton war der sprachliche Höhepunkt der kommunique–reichen Tour. Ein vorläufiges politisches Ergebnis dieses Besuches - abgesehen von der kontinuierlichen Beschwörung, daß Frieden die sicherste deutsche Gemeinsamkeit sei - läßt sich festhalten: Die DDR– spezifische Kultur staatlicher Repräsentation konnte sich die Bundesrepublik offenbar mühelos aneignen. Die Fahne des Widerspruchsgeistes hielten allein die Gegendemonstranten der Jungen Union aufrecht. Selbst von den Grünen hörte man staatsmännisches Aufatmen, daß alles so schön glatt abgelaufen sei. Die stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Karitas Hensel, begrüßte ausdrücklich, daß sich sogar die „Stahlhelmfraktion“ der CDU in ihren Äußerungen zurückgehalten habe. So war denn der gestrige Empfang Honeckers in München ganz besonders zeitgemäß und zweckmäßig: Bayern wertete ihn protokollarisch(Begleitung durch sieben „weiße Mäuse“) zum Staatsbesuch auf (15 „weiße Mäuse“). Fortsetzung auf Seite 2 Reportage und Berichte Seite 5 Mit fast frohlockendem Raunen wurde gestern die einzig sensationelle Äußerung des Staatsratsvorsitzenden kommentiert. Honecker hatte in seiner Heimatstadt Neunkirchen am Donnerstag abend (bei einem „Zusammensein mit anitfaschistischen Kampfgefährten“) bekannt, daß die deutsch–deutschen Grenzen „nicht so sind, wie sie sein sollten.“ Er sprach von der Hoffnung auf Normalisierung, davon, daß die Grenze in der Zukunft nicht trennen, sondern vereinen könnte, so wie es sich heute mit der Grenze DDR und Polen verhalte. Regierungssprecher Ost und Kanzle ramtsminister Schäuble „begrüßten“ sofort diese Äußerungen. Als „Ein hoffnungsvolles (An)Zeichen“ wurden diese Äußerungen der Reihe nach vom Berliner Senat, von der Berliner SPD und vom Franz Josef Strauß bezeichnet. Oppositionsführer Vogel nannte sie gar einen „substantiellen Fortschritt“ und klagte eine veränderte Haltung der bundesregierung in Fragen des Grenzverlaufes an der Elbe ein. Die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Dorothee Wilms, sprach von einer „bemerkenswerten Perspektive“ und rief dem Staatsratsvorsitzenden kurz vor Abflug nach: „Wir werden Generalsekretär Honecker beim Wort nehmen.“ Auf jeden Fall zeichnet sich jetzt schon ab, daß Honecker mit seiner Formulierung ein neues Feld gesamtdeutscher Rhetorik und Mißverständnisse eröffnet hat. In seinem Abschlußkommunique vor seinem Abflug betonte jedenfalls Honecker, in der Entwicklung deutsch–deutscher Beziehungen gebe es eine „weite Perspektive“. Bemerkenswert bei dem „Arbeitsbesuch“ des steinern lächelnden Gastes aus der DDR ist weiterhin die Tatsache, daß Honecker erstaunlich wirksam und ungebrochen allgemeine politische Akzente setzen konnte. Einmal zog sich durch alle Stationen der Reise eine geradezu höfische protokollarische Aufwertung der bundesdeutschen Wirtschaftsführer: Honecker empfing die Industrie, von Köln über die Villa Hügel bis hin zu Strauß. Im Sinne der wirtschaftlichen Zusammenarbeit feierte er gestern geradezu den bayerischen Regierungschef: „Wir haben uns schon oft getroffen, wir kennen uns, wir wissen, daß wir das Machbare in Angriff nehmen - und so soll es auch in Zukunft sein.“ Diesem Treffen mit Strauß opferte Honecker selbst die Minuten für den Rundgang im ehemaligen KZ Dachau. Allerdings: Der Besuch des KZs blieb das abschließende Ereignis einer zweiten Reihe von Akzenten. In allen Etappen reklamierte Honecker die antifaschistische Tradition, traf sich mit kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstandskämpfern. Honecker ging es darum, eine bewäl tigte Beziehung zur deutschen Vergangenheit darzustellen.