Geißler, Süssmuth und Blüm spielen auf zum Tanz

■ Auf die Modernisierung der CDU adäquat zu antworten, heißt, die Grünen zu einer Partei der „Citoyen des Jahres 2000“ zu entwickeln

Trotz der verzweifelten Hilfe Honeckers für Kohl, ihn im Amt zu halten, gerade wegen der Option der Wähler in Schleswig–Holstein und Bremen, das Sommertheater zwischen CDU und CSU fortzusetzen, kann ich feststellen: Kohl ist schon halb erledigt. Geißler, Süssmuth, Blüm und Fink spielen auf zum Tanz - mehr Rechte für Frauen, die Menschenrechte durchsetzen, soziale Verantwortung der Menschen füreinander entwickeln, mehr individuelle Selbstverantwortung für jeden einzelnen in der Gesundheits–/Sozialpolitik wiederentdecken, erfolgreich sein ist wieder schön, wir werden die Zukunft schon schmeißen... Strauß sieht sein Lebenswerk zerbröckeln, setzt immer offener auf nationalistischen und chauvinistischen Konservatismus und gerät so in die Nähe von Republikanern und DVU. Die SPD entwickelt sich zur großen feisten Schwester der Grünen, wenn sie immer offener den grün–fundamentalistischen Zukunftspessimismus aufsaugt, sich auf die Logik des zwei– Drittel–Gesellschafts–Arguments einlassend immer deutlicher nur noch für das herausfallende Drittel Politik betreibt und zugleich an der elenden Schmidtschen Manager–Vorstellung von Politik: „Laßt uns mal ran, wir können das viel besser“, festhält, die im Prinzip nichts anderes will, als Posten für ihre Funktionäre (siehe Engholm in Schleswig–Holstein und Dohnany in Hamburg). Wir Grünen - oh weh -, wir sind selbst gefesselt in der radikalistischen „Romantizismusfalle“, wir beschwören und überhöhen „Natur“, „Gemein schaft“, „Kollektiv“, setzen auf den irgendwann durch unsere intensive Aufklärung herbeigeführten revolutionären Sieg irgendwelcher nicht mehr existierender Klassen und schwelgen bis dahin in unseren Gesetzesinitiativen in einer staatsfixierten Verbots–, Überwachungs– und Kontrollorgie. Nein, in ihrer Wahlanalyse haben Geißler, Radunksy - was von dem Frankfurter SPD–Vorsitzenden Wenz bestätigt wird - durchaus recht: Die politischen ungebundenen Mittelschichten, zu denen sowohl die Mehrheit der heute sozial immerhin abgesicherten Arbeitnehmer, als auch die durch die Wirkung der Bildungsreform breiter und vielfälter gewordenen Aufsteiger und die alte neo–liberale bürgerliche Intelligenzia gehören, bestimmen den Wahlausgang im Bund und in den Ländern. Diese Menschen bestimmen ihr Wahlverhalten in viel aufgeklärterer und an ihren jeweiligen aktuellen Interessen orientierterer Weise, als ihnen das von der Politikerkaste der Parteien in der Regel unterstellt wird. Es entwickelt sich ein gegen die Parteien emanzipierteres Wahlverhalten. Die Bundesrepublikanische Demokratie hat mit diesen Mittelschichten und ihrem politischen Verhalten erstmals eine politische und dynamische Reife gewonnen, die von Jorge Semprun kürzlich sehr präzise so gekennzeichnet worden ist: „Wir wissen heute zuverlässig, wenn sich die Revolution in Nicaragua zum Beispiel nach eben diesem marxistisch–leninistischen Modell entwickeln sollte, ist sie zum Scheitern verurteilt. Andererseits wissen wir auch um die Widersprüche un serer Gesellschaft - mit all ihren Freiheiten und Bequemlichkeiten einer genußsüchtigen Gesellschaft, in der es sich wie in einem Kurort lebt - und gleichzeitig ist es eine Gesellschaft im Unrecht -, wir wissen, daß wir sie ändern müssen und wissen gleichzeitig, daß die revolutionären Methoden des 20. Jahrhunderts nicht mehr dazu taugen.“ Diese politische Grundhaltung, sehr gut leben, immer weniger arbeiten und trotzdem oder gerade deshalb mehr Gerechtigkeit, ungeteilte Menschenrechte überall und vor allem ein radikaler Anspruch auf Individualität findet im wechselnden Wählervotum und im Erstarken der kleinen Parteien seinen organisatorischen Ausdruck. Solange die großen Parteien CDU und SPD diese Herausforderung programmatisch nicht annehmen und offensiv wenigstens verbal auf einen Reformkurs setzen, der die ökologische Modernisierung und Öffnung für mehr individuelle Spielräume als Demokratisierung zum Ziel hat (hier sind Frauenfreiheit, Recht auf Faulheit, 20–Stunden–Woche und flexible, selbstbestimmte Arbeitszeiten ohne Verlust der gewerkschaftlich erkämpften Rechte, Bildungspflicht statt staatlichem Schulformzwang, Entmilitarisierung und vieles andere mehr gemeint), werden die kleinen Parteien - wie jetzt in Schleswig–Holstein - die Wahlen entscheiden. Es ist doch völlig wurscht, was Barschel und Engholm sagen. Korrupte Methoden gehören zum selbstverständlichen Umstrukturieren so großer Parteien. Alles entschieden wird auch deshalb von FDP, Grünen, USHW, SSW und in Zukunft sicher auch von Neofaschisten. Auf diesen politischen Zusammenhang zielt Geißlers Strategie, und sie hat keine schlechten Chancen aufzugehen: Warum eigentlich soll sich die CDU nicht von der CSU trennen und in einer Arbeitsteilung, die der CDU die positive und notwendige Modernisierung überläßt und der SPD die soziale Abfederung dieses Prozesses zuschiebt, eine Regierungskoalition bilden? Diese Arbeitsteilung hat allerdings zur Voraussetzung, daß die SPD wesentlich kleiner wird. Die relativen Gewinne der SPD in Schleswig–Holstein ändern daran nichts. Blüms Einsatz in NRW, der fast schon abzusehende Sturz Raus, ist ein wichtiger Schritt in eine solche Richtung. Auch der völlig prinzipienlose Ir seer Programmentwurf der SPD, diese Selbstbemitleidung wegen verschmähter Wählerliebe, grünelndem Zukunftspessimismus und Ignoranz, besonders deutlich nachzulesen am Teil Kulturpolitik, scheinen ebenso wie das Ersetzen des Intellektuellen Glotz durch die Rechtsfunktionärin Anke Brunn, Geißlers Hoffnung auf eine rot– schwarze Perspektive in der Mitte zu bestätigen. CDU–SPD an der Regierung. Die CSU bundesweit rechtsaußen, die FDP wegen jahrelanger floatender Wilderei in der Mitte aufgesogen und wir GRÜNEN linksaußen? Geht Ebermanns Politikansatz auf? Na, immerhin könnten wir dabei überleben und könnten fast ungestört unsere fundamentalistisch–revolutionaristischen Neurosen pflegen. Oder - und das scheint mir viel wahrscheinlicher - ist zu befürchten, das wir Grünen dann ähnlich wie die FDP überflüssig werden. Hamburg, Schleswig–Holstein sind sichere Schritte ins Aus für die Grünen. Denn unsere Wählerbasis, das sind ja beileibe nicht die durch den Modernisierungsprozeß neu benachteiligten Gruppen und Menschen an den alten Industriestandorten oder auf dem Land, Arbeiter und Bauern, sondern sind vorwiegend Sozial–, Bildungs– und Kulturarbeiter. Alles völlig staatsabhängige Mittelschichten und dazu kommen nur noch Teile des jugendlich–antiautoritären oder Sozialistischen dogmatischen Protestmilieus der BRD. Letztere Gruppierung allein bestimmt mit den Öko–Sozialisten im Augenblick die Politik der Grünen. Sie sorgen unter Ebermanns Führung dafür, daß die Grünen auch in Zukunft eine politische Rolle gefälligst nur als Opposition zu spielen haben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß das Koordinatensystem des rechts–links Spiels nicht mehr funktioniert. Modernisierung und individualistische Demokratisierung sind, festgelegt auf traditionell linkes Denken, nicht zu erreichen. Das Verlassen dieser bornierten Position als „rechts“ zu dequalifizieren, ist genau so hilflos wie der permanente Versuch, Frau Süssmuth oder Herrn Blüm lediglich als hochqualifizierte Staatsschauspieler, die am Ende doch das alte Lied singen, zu brandmarken. Geißlers Wähleranalyse ist der erste Versuch, sich auf die veränderten sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik einzustellen. Diese Herausforderung anzunehmen, heißt für mich, den Versuch zu unternehmen, die Grünen zu einer Partei zu entwickeln, in der der „Citoyen des Jahres 2000“ seine politische Handlungsebene finden kann. Auf dem Weg dahin bedeuten starre politische Festlegungen auf bestimmte politische Konstellationen überhaupt nichts mehr. Alle politischen Möglichkeiten, jede Koalitionsoption muß genutzt werden, um dieses Ziel zu erreichen. Der Vorschlag der baden–württembergischen Grünen, die CDU zu tolerieren, halte ich für die Wendung des Tolerierungstheaters der Hamburger Grünen nach rechts. Richtiger wäre es, in Baden–Württemberg auf die Koalition mit SPD und FDP zu orientieren, denn so gibt es eine Chance, Späth abzuwählen und die SPD - nötigenfalls auch mit der FDP - auf den Weg einer freiheitlichen und sozial verantwortlichen Modernisierung zu zwingen.