I N T E R V I E W „Ich habe die Gefahr der Manipulation erkannt“

■ Monsenor Rivera y Damas, Erzbisch von San Salvador, über seinen ermordeten Vorgänger und dessen heutige Anhänger

taz: Monsenor Rivera, fühlen Sie sich heute noch immer als der Nachfolger von Monsenor Romero? Rivera y Damas: Natürlich fühle ich mich als sein Nachfolger, denn ich war mit ihm in Freundschaft verbunden und sein Andenken lebt noch in der Bevölkerung. Aber ich wollte auch von seinem Bild Abstand nehmen, denn ich habe die Gefahr der politischen Manipulation erkannt, die sich ergeben könnte, wenn man seine Linie weitterverfolgt. Wissen Sie, wer Monsenor Romero ermordet hat? Ich glaube, es bestehen wenig Zweifel darüber, wer die Mörder von Monsenor Romero waren. Aber leider gibt es keine schlagkräftigen Beweise, um in diesem Fall Recht zu sprechen. Können Sie Namen nennen? Das werde ich so lange nicht tun, bis die Richter darüber entschieden haben. Die „Romero–Kirche“, wie man hier in El Salvador die christlichen Basisgemeinden nennt, ist in den letzten Jahren vielfach Opfer der staatlichen Repression geworden. Was haben Sie gegen diese Repression getan und was für das Wachstum der Basisgemeinden? Ich bin mit Ihrer Grundannahme nicht einverstanden. Ich glaube, daß die Kirche eigenständig sein muß und sich mit keinem konkreten historischen Projekt verheiraten soll. Wenn sie das täte, würde sie ihre Fähigkeit verlieren, Ferment zu sein. Ich weiß zum Beispiel, daß die Merhheit der Bevölkerung die Linie der UNTS (die Anfang der 80er Jahre in der Guerilla aufgegangen sind, Anmerk. der Red.), die die Nachfolge der alten Volksorganisationen angetreten hat, nicht unterstützt. Deshalb glaube ich, daß die Kirche die Rolle, Gerechtigkeit zu stiften, den Laien überlassen sollte. Ich habe vielfach Klagen darüber gehört, daß Sie die „Koordinierungsstelle der christlichen Basisgemeinden“ aufgelöst haben. Was war der Grund dafür? Ich selbst habe diese Entscheidung nicht getroffen, sondern der erzbischöfliche Vikar in Pastoralfragen. Ich habe aber diese Entscheidung nachträglich unterstützt. Seiner und meiner Auffassung nach, die ich den Basisgemeinden, die sehr eng mit den revolutionären Bewegungen liiert sind, auch mitgeteilt habe, müssen diese sich an die Kriterien halten, die sowohl in Medellin als auch in Puebla (lateinamerikanische Bischofskonferenz 1968 und 1978, Anm. d. Red.) aufgestellt wurden. Wir sind nicht gegen die politischen Optionen, die sie als Personen haben mögen, als Gemeinde aber dürfen sie sich nicht an ein bestimmtes politisches Projekt binden. Denn die Gemeinde ist Kirche, und die Kirche, glauben wir, darf das unter den gegebenen Bedingungen nicht tun. Heißt das, daß Sie Ihre Überzeugung im Vergleich zu vor zehn Jahren geändert haben, als Sie zusammen mit Monsenor Romero einen Hirtenbrief verfaßt haben, in dem Sie die Volksorganisationen unterstützten? Wie haben damals eine große Hoffnung ihn diese Organisation gesetzt. Aber ich glaube, daß die Zeit verstrichen ist und eine Reihe von Umständen aufgetaucht sind, die damals in dieser Schärfe nicht vorhanden waren. In dem Maße, in dem sich die Volksorganisationen politisierten, haben sie sich nämlich einer marxistischen Führungsgruppe unterstellt. Glauben Sie nicht, daß es einen Dialog zwischen Christentum und Marxismus geben könnte? Ich glaube, daß es einen Dialog zwischen der Guerilla und dem Staat geben könnte, und arbeite selbst sehr intensiv daran, daß der bewaffnete Konflikt durch eine Verhandlungslösung ersetzt wird. Gibt es dazu im Augenblick gute Aussichten? Ich glaube, daß es Teilerfolge gibt. Zum Beispiel konnten auf unser Betreiben hin einige Kriegsverletzte der Guerilla ausreisen. Als Gegenleistung hat die Guerilla die Bürgermeister, die sie gefangengenommen hat, freigelassen. Die Regierung hat als Bedingung für den Dialog mit der FMLN–Guerilla zuerst einen Dialog der Sandinisten mit den „contras“ und dann eine Erklärung der Aufständischen verlangt, auf Gewalt in Zukunft zu verzichten. Finden Sie, daß der Dialog, wie die Guerilla es verlangt, ohne Vorbedingungen stattfinden soll? Damit sich die beiden Seiten an einen Tisch setzen, sollte es keine Vorbedingungen geben. Bei den Verhandlungen selbst, die ja ein Geben und Nehmen darstellen, ist es aber unausweichlich, daß Bedingungen gestellt werden. Das Gespräch führte Leo Gabriel