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Am Schluß saß da ein einsames Monument

■ Willy Brandt wird von Berlins Sozialdemokraten am 30. Jahrestag seines Amtsantritts als Regierender Bürgermeister verabschiedet / „Willy“ verweigert den wehmütigen Blick zurück in bessere Zeiten / Nach einem einzelnen „Willy“–Ruf war alles vorbei

Aus Berlin Mechthild Küpper

„Berlin dankt Willy Brandt“, hieß es großspurig. In Wirklichkeit erwies Willy Brandt an diesem 30. Jahrestag seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin Berlin die Ehre. Dem verspäteten Abschied der Berliner Sozialdemokraten von ihrem Parteivorsitzenden versagte er wohlfeile Nostalgie und Blicke zurück auf bessere Jahre. Auf Wahljahre, in denen er der SPD– Berlin 61 Prozent der Stimmen einbrachte. Auf Mauerbau und „Zonenflüchtlinge“, auf Kennedy–Besuch und Passierscheine. Auf 1957 bis 1966. Samstag nachmittag strömten Hunderte zum Palais am Funkturm, einem Versammlungsort für Verlegene: Ohne jeden Bierzelt–Charme, aber auch ohne Zugeständnis an Geschmack und Kultur. Die Luft brummte vor Erinnerungen: Willy als würdiger und kämpferischer Nachfolger Ernst Reuters in den Tagen des in Berlin besonders Kalten Krieges, Willys Kniefall in Warschau, Willys Triumph beim gescheiterten Mißtrauensvotum des Dr. Barzel - mit Tränen der Rührung mußte gerechnet werden, Pathos war er laubt. „Willy, du warst genau der richtige Mann für diese Stadt“, attestierte der derzeitige SPD–Landes– und Fraktionsvorsitzende Walter Momper dem Ehrengast. An dessen Tisch hatte der Senat seinen mürben Verkehrssenator entsandt. Hans–Jochen Vogel, Nachfolger Brandts als Berliner Regierender Bürgermeister, als Parteivorsitzender, und als Bundestagsabgeordneter, glänzte durch Abwesenheit. Eine Collage aus Reden, Interviews und Tönen der fünfziger und sechziger Jahre leitete zur Rede Brandt über. Der dankte Momper, dankte denen, die die „bedrüc kende Dokumentation“ zusammengestellt hatten und befand lakonisch, es seien trotz allem „schöne Jahre“ gewesen und er wisse diese „Erinnerung an meinen Amtsantritt als Regierender Bürgermeister wohl zu schätzen“. Momper sprach davon, daß man „auch heute noch eine Politk der Reformen“ brauche, „auch weiterhin mehr Demokratie“ benötige, erwähnte „Nachbarschaft und Kiezstrukturen“, die zu stärken seien. Brandt warnte vor „Kleingeist“, „Mickrigkeit und Kleinkariertheit“ - und nicht immer meinte er die Christdemokraten, die den ermordeten Olof Palme nicht zum Namensgeber eines Platzes machen mochten. „Ich bin an der Seite derer“, erklärte Willy Brandt, „die energisch und einfallsreich West–Berlin als modernes Wirtschafts– und Wissenschafts–, als Technik– und Dienstleistungs–, als Kultur– und Tagungszentrum weiter ausbauen wollen und die gleichzeitig, wie schwer das auch ist, nach Wegen und Mitteln suchen, um die beiden Teile der Doppelstadt durch sich ergänzende Aufgaben auf neue Weise miteinander zu verbinden.“ Auf dieser Seite findet Brandt die erklärten Absichten des CDU–FDP–Senats, dessen konkrete Bemühungen um Gemeinsamkeiten der „Doppelstadt“ zum 750. Geburtstag er allerdings als „Schattenspiele“ klassifizierte. „Nicht im eigentlichen Wortsinn offen“ sei die deutsche Frage, allein schon die anhaltende Debatte darüber sei „rückwärtsgewandt“. Status quo, von dem auszugehen sei, könne nicht die Offene Deutsche Frage sein, sondern das Abkommen von Helsinki über Sicherheit und Zusammenarbeit: „Was man gegeneinander nicht schafft, muß man miteinander tun“. „Neues Denken auf Deutsch“, das müsse bedeuten, an Gemeinsamkeiten zu arbeiten, Gegensätzliches nicht zu vergessen, aber es auch nicht als Hinderungsgrund für Dialog zu benutzen. An „euren geprüften Realitätssinn und an euer gesundes Selbstbewußtsein“ beim „Nachdenken darüber, wohin eine zweite Phase von Entspannung führen könnte“, appellierte Willy Brandt. Stehende Ovationen, rhythmisches Klatschen, ein vereinzelter „Willy!“– Ruf, Blumen wurden übergeben, die Veranstaltung war beendet, man ging. Einige blieben, zum „Empfang“ eingeladen, und sahen, Kaffee und die Schnittchen balancieren, Willy Brandt sitzen wie ein Monument. Er sah aus, als sei er ganz allein. Er gab ein Interview. Berliner Sozialdemokraten erklärten, er habe keine Begegnung mit alten Weggefährten gewünscht, keine rührende Feier gewollt. Er hat keine bekommen.

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