I N T E R V I E W Interesse an europäischer Atommacht

■ Wolf–Michael Catenhusen (SPD–Vorstandsmitglied) ist Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie

taz: Die Grünen wollen den Atomverzicht im Grundgesetz verankern. Was halten Sie davon? Catenhusen: Durch ihr taktisches Vorgehen im Rahmen der Pershing–1a–Debatte haben die Grünen dieser Idee einen Bärendienst erwiesen, denn sie haben gegenüber der Öffentlichkeit und der SPD den Eindruck erweckt, als sei dies eine Alternative zu den konkreten Forderungen bei den Pershing1a gewesen. Aber ich halte diese Forderung für eine seriöse Idee, die sorgfältig geprüft werden muß und auch in der SPD offen und unvoreingenommen diskutiert werden sollte. Das Grundgesetz enthält ja bereits eine Reihe von Aussagen zu verteidigungspolitischen Fragen wie zum Beispiel die Nichtbeteiligung an einem Angriffskrieg. Würden Sie es begrüßen, wenn sich über die parlamentarische Initiative hinaus eine breitere gesellschaftliche Diskussion darum entwickeln würde? Und: Was müßte dafür getan werden? Ich würde das sehr begrüßen, vor allem weil 1995 der Atomwaffensperrvertrag ausläuft und sich schon dadurch die Notwendigkeit ergeben könnte, eine grundsätzliche Klärung der Politik der Bundesrepublik gegenüber dem Besitz von Atomwaffen herbeizuführen. Dafür ist die Grundgesetz–Forderung ein denkbarer Weg. Zunächst müßte aber eine Diskussion darüber in der Friedensbewegung beginnen, wo dann auch die parteipolitischen Profilierungsversuche in den Hintergrund gedrängt werden. Ich plädiere also dafür, zunächst diese Diskussion in der Friedensbewegung auf breiter Basis aufzunehmen, bevor man auf eine parlamentarische Entscheidung drängt. Wird nicht schon vor Auslaufen des Atomwaffensperrvertrages die nukleare Option oder Teilhabe der Bundesrepublik auf der Tagesordnung stehen, angesichts der laufenden Debatte über die Neuordnung der westeuropäischen Militär–Konstellation und Sicherheitspolitik? Ich sehe nicht die Gefahr, daß die Bundesrepublik kurzfristig in den nächsten zwei, drei Jahren über Atomwaffen verfügen kann. Dafür gibt es hier keine politischen Mehrheiten. Die Gefahr besteht eher darin, daß die Bundesrepublik direkt in die Zielplanung der französischen Atomwaffen verwickelt wird, weil es natürlich unser Interesse sein muß, daß die französischen Kurzstreckenraketen nicht mehr auf die Bundesrepublik zielen. Aus einer solchen Zusammenarbeit könnte auf die Dauer eine nukleare Teilhabe entstehen, vor allem wenn der Atomwaffensperrvertrag 1995 fällt. Sie haben sich eingehend mit der militärischen Bedeutung der Brütertechnologie befaßt. Wie schätzen Sie die künftige Fähigkeit der Bundesrepublik ein, selber Atomwaffen zu produzieren? Die Beteiligung an der Brütertechnologie bedeutet, daß die Bundesrepublik die Fähigkeit hat, mit fertigem know how jederzeit die Produktion von waffenreinem Plutonium für militärische Zwecke aufnehmen zu können. Vor allem wenn nach den Verträgen mit Frankreich Anfang der 90er Jahre von dort wieder aufgearbeitetes Plutonium in großen Mengen zurückgeführt wird, sind auch mengenmäßig alle Voraussetzungen für die Produktion von Atombomben erfüllt. Von der technischen Seite her wäre es also für die Bundesrepublik sehr einfach, Atomwaffenstaat zu werden, wenn 1995 die Fesseln des Atomwaffensperrvertrages fallen. Welche Auswirkungen hat diese atomindustrielle Potenz auf das Image der BRD als Militärmacht und als möglicher Partner in einer westeuropäischen Atomstreitmacht? Es ist bei einer neuen Arbeitsteilung zwischen Europa und den USA in der nuklearen Verteidigung für Frankreich und Großbritannien sehr attraktiv, die Bundesrepublik zumindest in die nukleare Zielplanung und damit die Verantwortung für einen nuklearen Einsatz einzubeziehen. Nach meiner Einschätzung hat aber weder Frankreich noch Großbritannien ein Interesse daran, daß die Bundesrepublik über eigene Atomwaffen verfügen kann. Dazu sind die Vorbehalte der Nachbarstaaten zu groß, das kann sich im Moment in Westeuropa noch niemand vorstellen. Aber deutsche Mitverantwortung und Mitfinanzierung einer westeuropäischen Atomstreitmacht, das ist sicherlich ein steigendes Interesse in Westeuropa.