Auf der Anklagebank

Irgendeine Ahnung über den bevorstehenden schwarzen Montag dürfte US–Finanzminister Baker beschlichen haben, als er am vergangenen Wochenende schweres Geschütz gegen die Frankfurter Bundesbank richtete: Sie habe die Zinsschraube nach oben gedreht, löse dadurch ein weltweites Nachziehen des Zinsniveaus aus und beschwöre somit die Gefahr der Strangulierung der Weltwirtschaft herauf. Kein Zweifel, gelänge es Baker, diese Indizienkette lückenlos zu schließen, so hätte er die Bundesbank unter ihrem Präsidenten Karl–Otto Pöhl auf der Anklagebank der Weltwirtschaftsstrafkammer wegen leichtfertiger Inkaufnahme eines Börsenkrachs. Als Gutachter könnte er jedweden Volkswirt heranziehen, der ihm die erste Grundregel des Kapitalmarktes bestätigen würde: Steigendes Zinsniveau bedeutet stets sinkende Aktienkurse. Jeder einigermaßen mobile Spekulant „steigt um“ von Unternehmensbeteiligungen auf zinsbringende Wertpapiere, wenn diese Zinsen ein bestimmtes Niveau erreichen. Noch durchschlagender sind die Erwartungen: Meint der Spekulant, daß die Zinsen noch weiter steigen, so muß er seine Aktien verscherbeln. Er muß schließlich damit rechnen, daß andere ebenfalls die ihrigen losschlagen, und mithin seine Papiere demnächst keinen Pfifferling mehr wert sind. Natürlich sinken die Aktienkurse bei steigendem Zinsniveau auch deshalb, weil sich für die Unternehmen, die hinter diesen Aktien stehen, die Finanzierung verteuert: schlechtere Gewinn– und mithin Dividendenaussichten. Hätte Pöhl keinen guten Verteidiger, so müßte er mit genau dem Strafmaß der Weltwirtschaftsschöffen rechnen, den Nebenkläger Baker gefordert hatte: Absenkung des US–Dollars, damit die US–Waren auf dem Weltmarkt billiger werden. Damit würde der US–Export angekurbelt, die bundesdeutsche Ausfuhr aber dabei verlieren. In der Tat, die Bundesbank hat sich des Vergehens der Zinsanhebung schuldig gemacht, als sie kürzlich Wertpapiere ausgab, deren Festzinsen höher waren als diejenigen der zuvor „emittier ten“ Papiere. Pöhl wird hier jedoch auf Notwehr plädieren: Die Bundesbank habe gar nicht anders gekonnt, da die Zinsen auf dem Kapitalmarkt schon von allein steigen. Mit solcher Verteidigung zieht er allerdings Bundesfinanzminister Stoltenberg mit in den Strudel. Der Tatvorwurf lautet dann hier: arglistige Täuschung. Denn Bundesfinanzminister Stoltenberg hatte auch auf noch so hartnäckiges Nachhaken der Journalisten am Rande der Washingtoner Währungskonferenz monoton und lapidar geantwortet: Die Zinsen bleiben da, wo sie sind, und der Dollarkurs schon ganz und gar. Beide Beschuldigten zusammen dürften indes versuchen, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem sie - nicht unbegründet - die USA mit einer Gegenklage überziehen. Auch einen Laienrichter wird es schließlich überzeugen, daß die USA mit ihren weltweit höchsten Auslandsschulden von 220 Milliarden Dollar 1986 (Brasilien liegt auf dem zweiten Rang mit knapp über 100 Milliarden) und mit ihrer internen Staatsschuld von 2.000 Milliarden Dollar gehörig an der Zinsschraube drehen. Die Riesennachfrage der USA nach Krediten erhöht deren Preis - den Zins. Es dürfte für die Weltwirtschaftsschöffen auch interessant sein, daß die US–Zentralbank noch Anfang September ihren „eigenen“ Diskont–Leitzinssatz von 5,5 auf 6 Prozent anhob. Zur öffentlichen US–Verschuldung kommt diejenige der „privaten Hände“. Allein die Konsumenten stehen mit 2.000 Milliarden Dollar in der Kreide, ganz abgesehen von der Verschuldung etwa der Landwirtscgehaft. Ihre Ursache hat die Verschuldung der samten US–Ökonomie in dem zweiten Hauptproblem der USA: der hohe Dollarkurs, der die eigenen Exporte konkurrenzunfähig macht und der ausländische Waren im Lande verbilligt. Die Folge ist ein gigantisches Handelsbilanzdefizit von 150 Milliarden Dollar (1986). Die US–Behörden würden deshalb lieber heute als morgen den Dollarkurs absenken - gebremst soll dies nach den jüngsten Vereinbarungen auch geschehen. Fiele jedoch der Dollar - entsprechend der jeweiligen Kaufkraft, die ja für die Exportaussichten maßgeblich ist - auf etwa 1,20 bis 1,30 DM, so müßte das Zinsniveau in den USA noch weiter anziehen. Denn die ausländischen Anleger, die zur Zeit noch ihr Geld in den USA anlegen, würden ihre Einlagen abziehen, um nicht bei fallendem Dollar starke Gewinneinbußen hinzunehmen, und die inländische Kreditnachfrage in den USA stiege noch stärker an. Eine klassische Zwickmühle, bei der man fast versucht wäre, auf mildernde Umstände zu plädieren. Auch mangelnde Zurechnungsfähigkeit käme in Betracht: Mit Plänen zur Verdoppelung und Verdreifachung des Rüstungsetats kann kein vernünftiger Mensch versuchen, die Staatsschuld abzubauen. Zweifellos war ein Kippen des nunmehr fünfjährigen Aktienbooms absehbar. Daß er nun so drastisch ausfällt, liegt selbstverständlich auch daran, daß momentan die Spekulantenszene auf die Weltwirtschaft nichts mehr zu setzen bereit ist: Das Wachstum ist Wachstum allerorten schwächlich, insbesondere in den USA zeichnet sich Düsteres ab. Der US–Regierung als Verwalterin hauptsächlich von Schulden wäre ein ankurbelnder (und damit inflationärer) Prozeß am liebsten, weil er ihre Kreditrückzahlungen verbilligen würde. Sie kann diesen Prozeß jedoch nicht auslösen, da sie als Schuldnerin elementar auf internationales Vertrauen angewiesen ist. Statt dessen klagt sie von ihren Partnerländern die Einleitung dieses Prozesses ein, und deshalb richtete Baker am Wochenende scharfes Geschütz gegen die Bundesrepublik. Eine Erklärung des ganzen mutet jedenfalls eigentümlich an: die Golfkrise seis gewesen. Abgesehen davon, daß uns der politökonomische Unterricht lehrt, daß die großen Konzerne am Krieg eher verdienen denn verlieren, haben Spannungen in Nahost auch in jüngster Zeit stets zur Erklärung eines hohen Dollarkurses hergehalten. Zu recht, krankt doch die US– Ökonomie auch an ihrer maroden Ölindustrie, die nur auf höhere Ölpreise wartet. Und: Je mehr Krieg auf den Ölrouten, desto höher der Ölpreis. Ulli Kulke