Zwischen Börsenkrach und Supraleitung

■ Aspen–Konferenz diskutierte drei Tage lang Perspektiven für das 21. Jahrhundert / Hochkarätige Besetzung von Henry Kissinger über Helmut Schmidt und Kurt Biedenkopf bis zum Bundespräsidenten / Kritik an westlicher Führungsschwäche

Von Benedict M. Mülder

Berlin (taz) - Als internationale Denkfabrik hat das Berliner Aspen–Institut unter Shephard Stone wieder seinem Namen alle Ehre gemacht. Von Sonntag bis Dienstag diskutierten 352 Teilnehmer aus Ost und West - offizielle sowjetische Vertreter hatten abgesagt - Perspektiven für das nächste Jahrhundert. Supraleitung und Börsenkrach, der Geist Gorbatschows und die Postmoderne, die Gefahren eines überalterten Europas waren die Stichworte für eine Diskussion, die sich mehr an Realpolitik als an Visionen abarbeitete. Ex–US–Außenminister Kissinger geißelte wie Helmut Schmidt die Führungsschwäche des Westens. Während Kissinger meinte, daß man sich nicht übermäßig mit der Analyse von Glasnost beschäftigen soll, war es am Bundespräsidenten Weizsäcker, „Systemöffnung“ statt Abgrenzung zu fordern. Ein „Ende der expansiven Denkstrukturen“, eine moralgebundene Intelligenz verlangte der CDU–Politiker Biedenkopf. Weil Berlins Regierender Bürgermeister „angebliche und formale Statushindernisse überwinden“ will, sollen, so Senatskreise in Berlin, die Alliierten ihre Stirn bereits in Falten gelegt haben. Stellungnahmen einzelner Teilnehmer der Konferenz gegenüber der taz: Luc Rosenzweig (Le Monde): Kissinger und Schmidt, das sind zwei Besserwisser, die was gegen den Blick auf das haben, was wirklich passiert. Interessant war aber, daß eine wirkliche Debatte über die Analyse von Gorbatschow zustande kommt. Was machen wir nach dem Abrüstungsabkommen, diese Debatte geht jetzt los. Die Deutschen sagen mit Recht, das ist nur der Anfang eines Prozesses. Die Entspannungs– und Ostpolitik ist ein unwiderruflicher Trend in der deutschen Politik. Der Honecker–Besuch hat keinerlei Beunruhigung ausgelöst. Die Veranstaltung hier trägt zur weiteren Bewegung in der Öffentlichkeit bei. Die einzig neue Idee aber, die so gar nicht neu ist, lautet: Es muß eine Führung in Europa und Amerika geben. Carsten Voigt (SPD): Wenn es Realpolitik gewesen wäre, wäre es gut gewesen. Wo die Tagung gut war, war sie eine Beschreibung der wirtschaftlichen und technologischen Schwierigkeiten und des Ost–West–Verhältnisses. Das ist auch ein Moment zur Analyse für Lösungen. Im großen und ganzen hat sich die Tagung mehr mit der Gegenwart als mit der Zukunft beschäftigt, mit der Lösung von Problemen der nächsten zehn, zwanzig Jahre. Längerfristige Persepktiven waren auf wenige Beiträge beschränkt. Die Leute, die hier versammelt waren, haben weniger an Gorbatschow gedacht, zumindest weniger ihre Analysen auf ihn gerichtet. Es war eine Verständigung innerhalb des Westens, die sowjetische Wirklichkeit und die der osteuropäischen Staaten saß nicht fühlbar dabei. Hans Jürgen Krupp (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung): Wir denken alle noch in Kategorien von Industriegesellschaften. Aber es ist doch deutlich geworden, daß die Zukunft sicher nicht so bestimmt sein wird, sondern von Informationsgesellschaft, von Kultur, von „liberal–art“, weniger geprägt von den Zwängen des Industriesystems. Karl Ludwig Schweisfurth (Un ternehmer und Gründer einer Öko– Stiftung): Ich war etwas enttäuscht, daß der ökologische Ansatz auf dieser Tagung so wenig zum Tragen gekommen ist. Gräfin Dönhoff (Zeit): Visionen haben sich alle abgerungen. Ich denke aber, daß man Voraussagen in der Politik überhaupt nicht machen kann. Wer mir als Studentin gesagt hätte, daß eines Tages 25 Jahre lang eine Mauer über den Potsdamer Platz geht und jeder erschossen wird, der darüber geht, dem hätte ich nicht geglaubt. Werden wir in Zukunft überhaupt noch eine Demokratie haben? Oder wird es autoritärer werden? Aus zwei Gründen möglicherweise: Einmal wegen des Terrorismus, der meiner Ansicht nach viel schlimmer werden wird, zum anderen wegen der großen Masse der Arbeitslosen. Das kann aber nicht mit Zwang, höchstens mit gewissen Ideen von oben, mit Anregungen beseitigt werden. Bischof Martin Kruse: Es besteht zukünftig die Gefahr, daß sich die Gesellschaft weiter aufteilt in solche, die mitkommen, und solche, die zurückbleiben. Ich habe den Eindruck, daß dieser Frage doch sehr viel Aufmerk samkeit geschenkt wird. In der Diskussion hat sie allerdings eine geringere Rolle gespielt, weil doch mehr die großräumigen Probleme im Blick waren und weniger die sozialen Folgen im einzelnen. Das Gespräch zwischen Amerikanern und Europäern stand sehr stark im Vordergrund. Ich hätte mir gewünscht, daß das osteuropäische Element stärker im Vordergrund gestanden hätte. Das hätte das Gespräch insgesamt belebt. Kurt Biedenkopf (CDU): Es ist über Visisionen und Realpolitik geredet worden. Zum Beispiel die Bäuerin aus Italien über die ökologische Funktion der Landwirtschaft. Es war ein guter Austausch innerhalb Europas, aber auch über den Atlantik. Es ist gut, daß die Älteren (Kissinger und Schmidt, d.red.) uns ihre Erfahrungen mitgeben, auf denen man aufbauen kann. Sehr wichtig fand ich Schmidts Relativierung der militärischen Dimension und Kissingers Ermahnung, das Verhältnis zwischen Staaten nicht mit denen zwischen Menschen zu vergleichen. Edzard Reuter (SPD, Daimler– Vorstand): Es gab den Konsens, daß man Schritt für Schritt in Europa weiter kommt. Das ist auch eine Vision. Was die Menschenrechte und die geforderte neue Moral angeht. Natürlich trifft zum Beispiel in einem großen Unternehmen nicht einer alleine die Entscheidung. Alle stehen in der Kontinuität von Kollegialität, aber insbesondere in der Politik eines Unternehmens wie Daimler Benz muß schon deutlich werden, daß ein Engagement für Menschenrechte da ist. Nur, die Auslegung im konkreten Falle muß sorgfältig abgewogen werden. Die Antworten sind keineswegs immer so leicht, wie es sich mancher evangelischer Pastor vorstellen mag.