Selektive Schüsse

■ Der Mord am Chef der Menschenrechtler in El Salvador

„Sie werden uns nicht noch einmal verhaften. Das nächste Mal schießen sie.“ Das sagte mir im Juli dieses Jahres Reynaldo Blanco von der Menschenrechtskommission in San Salvador. Sein Freund Herbert Anaya Sanabria stand neben ihm und nickte zustimmend. Er sollte Recht behalten. Herbert wurde am Montag morgen erschossen. Reynaldo kann der nächste sein. Die Repression in El Salvador hat unter der christdemokratischen Regierung Duartes eine neue Qualität erreicht. Sie findet selektiv und gezielt statt. Ihr vorletztes Opfer, der Gewerkschafter Jorge Salvador Ubau, wurde vorletzte Woche ermordet auf offener Straße gefunden. Die Repression trifft nur noch die, die nicht darauf verzichten, die Wahrheit beim Namen zu nennen: Es gibt in El Salvador keine Demokratie. Die gibt es auch nicht in Honduras, und in Guatemala schon gar nicht. Wer das Gegenteil behauptet, verfolgt ein ganz anderes Ziel. Die Auseinandersetzung in dem Friedensprozeß in Mittelamerika nach dem Abkommen von Guatemala zielte immer auf die Innenpolitik Nicaraguas. Den Sandinisten soll das Fell über die Ohren gezogen werden, denn sie gelten als Haupthindernis für Frieden und Demokratie. Wenn sie sich weigern, mit der Contra zu verhandeln, nur dann ist eine Lösung der regionalen Krise gefährdet: So sprachs der Präsident der USA, so pflichtete ihm der frischgebackene Friedensnobelpreisträger Oscar Arias bei. Frieden kann es aber in Mittelamerika nicht geben, solange in den Nachbarstaaten Nicaraguas diejenigen verfolgt und ermordet werden, die den Frieden tatsächlich wollen. Die Ermordung Herbert Anayas kam während der Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla in El Salvador: Wollen die Todesschwadrone damit jedes weitere Gespräch verunmöglichen? Ob der Mord der Regierung wirklich ungelegen kam, die in der Vergangenheit den Dialog mit der FMLN vermied, bleibt offen. Die Mörder Anayas sind Teil der Streitkräfte, und die werden von der Regierung kontrolliert. So zumindest behauptet es Duarte. Gaby Gottwald