Hafenstraße setzt Senat unter Zugzwang

■ Der Hamburger Senat muß jetzt auf die Ablehnung des Pachtvertrages durch die Hafenstraße reagieren

Jetzt ist der Hamburger Senat am Zuge. Die Bewohner der Hafenstraße haben nun definitiv einen Vertrag über die Bedingungen ihres weiteren Verbleibens in den besetzt gehaltenen Häusern abgelehnt. Sie betrachten die geforderten Vorleistungen als Erpressung. Selbst der Hamburger Verein „Mieter helfen Mietern“ hat das Vertragspaket als „sittenwidrig“ erkannt; die Hafenstraßler fühlen sich geknebelt. Am Samstag demonstrierten Tausende in der Hansestadt für einen Erhalt der Hafenstraße und gegen die Poitik des Senats unter Bürgermeister Dohnanyi.

Klaus von Dohnanyi ist gut gelaunt. Zwei Tage vor Ablauf der Frist, die der Hamburger Senat den Bewohnern der umstrittenen Häuser in der Hafenstraße gegeben hatte, um den vorgelegten Vertragsentwurf zu unterschreiben, hat er Positives zu vermelden. Das Abkommen über eine Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Dresden ist unterschriftsreif - in Gesprächen mit einer Delegation aus dem „Elb– Florenz“ unter Leitung des Dresdner Oberbürgermeisters Wolfgang Berghofer kam man zügig voran. In dieser Woche wird sich Dohnanyi noch ein zweites Mal ins Blitzlichtgewitter begeben, und wieder spielt die Hafenstraße dabei keine Rolle: Thronfolger Prinz Charles und seine Gemahlin Lady Di geben Hamburg die Ehre und besuchen den Bürgermeister im Rathaus. Danach dürfte sich das öffentliche Interesse wieder dem Thema zuwenden, das in der Hansestadt monatelang für Zündstoff sorgte und wohl noch sorgen wird: die Hafenstraße. Nachdem das Plenum der Hafenstraßen–Bewohner dem derzeit vorliegenden Pachtvertrag (siehe Kasten) eine definitive Absage erteilt hatte, sieht die Lage für den Bürgermeister alles andere als rosig aus. Gegen den Widerstand der Mehrheit seiner Bürgerschaftsfraktion und wohl auch der überwiegend konservativ eingestellten Partei hatte er sich mit seiner Verhandlungsstrategie gegenüber der Hafenstraße weit aus dem Fenster gelegt. Nachdem im Frühsommer ein Verhandlungsvorschlag des Hamburger Multi–Mäzens Jan Philipp Reemtsma auch durch das Verhalten Dohnanyis scheiterte, erklärte der Bürgermeister die Angelegenheit zur Chefsache (was er heute dementiert) und erarbeitete gemeinsam mit dem Hafenstraßen–anwalt Rainer Blohm ein vierseitiges Papier, dem für viele überraschend auch die Hafenstraße zustimmte. An jenem Freitag, dem 7. August, schien der Weg frei für eine friedliche Lösung - die Hoffnung währte allerdings nur ein Wochenende lang. Dohnanyi bemerkte den Unmut in Senat und SPD und schob am darauffolgenden Montag ein detaillierteres, 24 Seiten dickes Papier nach. Der zu diesem Zeitpunkt geschäftsführende Senat (SPD und FDP befanden sich noch in Koalitionsverhandlungen) wollte zu dem Papier jedoch keine Stellung nehmen. Im Gegenteil: Geschrei, Beschimpfungen und Beleidigungen dominierten die Sitzung der Hamburger Stadtregierung, Dohnanyi konnte nur noch mit einer Rücktrittsdrohung das Auseinanderfallen des Senates verhindern. Bereits zu diesem Zeitpunkt stellte sich heraus, daß die größten Gegner der vorgelegten Vertragsregelung in Dohnanyis eigener Partei sitzen. Vor allem Bausenator Eugen Wagner, in dessen Behörde nach jüngsten Ermittlungsergebnissen mindestens 250 Beamte in einen Schmiergeldskandal verwickelt sind, machte gegen eine friedliche Lösung des Problems Hafenstraße mobil. Nach der Bildung des sozialliberalen Senates war das Kräfteverhältnis kaum anders. Selbst nachdem der neue Innensenator Volker Lange (SPD) den vorzeitigen Abbau der Befestigungsanlagen als Bedingung für ein Vertragsangebot durchsetzte, votierten noch immer drei sozialdemokratische Regierungsmitglieder gegen Dohnanyis Vertragsentwurf. Nachdem die SPD–Bürgerschaftsfraktion ihren Bürgermeister niedergestimmt hatte, war es letztlich der Koalitionspartner FDP, der Dohnanyi im Senat den Rücken stärkte. Durch die vielen Änderungswünsche der sozialdemokrati schen Hardliner war nun allerdings ein Vertragswerk entstanden, das mit dem ursprünglichen Vierseitenpapier, dem auch die Hafenstraße zugestimmt hätte, wenig zu tun hat. Dennoch gab sich Dohnanyi optimistisch. Den Bewohnern wurde eine sechswöchige Frist eingeräumt, die Vorbedingungen zu erfüllen, Personen für den zu gründenden Trägerverein zu bestimmen sowie den Pachtvertrag zu paraphieren. Währenddessen setzte die CDU–Opposition Dohnanyi heftig zu. In Zusammenarbeit mit der Springer–Presse inszenierte deren Fraktionschef Hartmut Perschau eine Kampagne gegen den „rechtsfreien Raum“ Hafenstraße. Genüßlich wurde jede in der Hafengegend begangene Straftat groß vermeldet und den Bewohnern der umstrittenen Häuser zur Last gelegt. Mittwoch letzter Woche nun kündigte die CDU die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses an, der etwaige Rechtsverstöße des Senates aufklären soll: Perschau will fast die gesamte Stadtregierung vor den Ausschuß zitieren, will Auskunft darüber erhalten, ob und wie auf das Versorgungsunternehmen HEW und die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA dahingehend Druck ausgeübt wurde, ausstehende Miet– und Stromkosten der Hafenstraße nicht weiter einzuklagen. Besonders pikant: Gab es eine Anweisung der Innenbehörde an die Polizei, will Perschau wissen, Straftaten von Hafenstraßen–Bewohnern nicht zu verfolgen? Die Verweigerung der Hafenstraße, den vorgelegten Vertrag zu unterschreiben, wird die CDU Dohnanyi nun als Beleg ihrer These unter die Nase reiben, die Bewohner seien nicht „verhandlungsfähig“. Auch weite Teile der SPD werden sich vollauf bestätigt sehen in ihrem Verlangen, die Häuser so schnell wie möglich räumen und abzureißen zu lassen. Die Forderung der betroffenen Bewohner, über einige Punkte des Pachtvertrages nachzuverhandeln, wurde von Dohnanyi in den vergangenen Wochen abgelehnt. Allerdings mehren sich in den letzten Tagen die Anzeichen, daß darüber das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Gegenüber dem offiziell ausgesprochenen strikten Nein zu jeglichen weiteren Gesprächen wirkt die Aussage des stellvertretenden SPD–Fraktionsvorsitzenden Leonhard Hajen wie ein Silberstreif am Horizont. Auf die Frage nach einem möglichen Spielraum auch nach Ablauf der Frist antwortete er vieldeutig: „Über Kommas kann noch geredet werden, nicht aber über Hauptsätze.“ An eine schnelle Räumung ist ohnehin nicht zu denken - mindestens nicht in dieser Woche. Da sei Lady Di mit ihrem Prinzen vor. Axel Kintzinger